Trierer Professor: Politik stärker in der Schule lehren
Andreas Voßkuhle, neuer Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, hat vor einem Jahr mit seinem Vorschlag, das Wahlalter generell auf 16 Jahre zu senken, eine breite Debatte ausgelöst. Die SPD greift das Thema für Rheinland-Pfalz auf.
Mainz. Bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr waren nach Auskunft des Statistischen Landesamtes 3,16 Millionen Bürger im Land wahlberechtigt. Geht es nach den Sozialdemokraten, sollen in vier Jahren viele junge Menschen hinzukommen. Auf TV-Anfrage heißt es aus dem Landesamt, dass eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre rund 90 000 Jugendliche betreffen würde, die dann ihr Kreuzchen machen dürften.
In der Landesverfassung ist das Wahlrecht für Kommunal- und Landtagswahlen in Paragraf 50 in Verbindung mit Paragraf76 geregelt. Dort heißt es: "Zur Teilnahme berechtigt sind alle Staatsbürger, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen sind." Geändert werden kann das nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Landtags oder mit einem Volksentscheid. Die Regeln für die Wahl zum Bundestag sind im Grundgesetz festgelegt und können nur vom Bundestag geändert werden. Auf Bundesebene ist das Wahlalter 1972 von 21 auf 18 Jahre gesenkt worden.
Die Debatte um ein umfassendes Wahlrecht ab 16 Jahren wird in Deutschland schon seit Anfang der 90er Jahre geführt. Sie flammt immer wieder auf. Einigkeit unter den Politikern besteht nicht. In allen Parteien gibt es Befürworter und Gegner.
Die Befürworter einer Änderung hoffen, damit könne der allgemeinen Politikverdrossenheit entgegengewirkt werden, die in einer seit Jahren sinkenden Wahlbeteiligung ihren Niederschlag findet. "Für die Demokratie gilt: Je früher man mit ihr beginnt, umso mehr kann man Menschen begeistern", argumentiert Hans Jürgen Noss (SPD). "Mehr Beteiligung tut der Demokratie gut", ergänzt der Grüne Daniel Köbler.
Ein Baustein von vielen
Die Gegner einer Absenkung des Wahlalters halten 16-Jährige für zu jung zum Wählen. "Der Gesetzgeber hat entschieden, dass man mit 18 Jahren volljährig ist. Das bedeutet, mit 18 Jahren trägt man in vollem Umfang für sich und sein Handeln, aber auch für die Gesellschaft Verantwortung. Es ist der falsche Weg, immer mehr Ausnahmeregelungen zu treffen", sagt FDP-Sprecher Thomas Auler.
Der Trierer Politikwissenschaftler Professor Wolfgang Lorig, Spezialist für Kommunalwahlrecht, mahnt zu einer differenzierten Betrachtung. "Die Absenkung des Wahlalters allein reicht nicht aus, um das Interesse der Jugendlichen an Politik zu steigern." Dieser Schritt sei nur als Baustein eines Bündels von Aktivitäten sinnvoll.
Der Wissenschaftler verweist auf die Erfahrungen mit dem Wahlalter 16 in anderen Bundesländern. Dort habe sich gezeigt, dass die Wahlbeteiligung der 16- bis 17-Jährigen bei 40 bis 60 Prozent und damit im normalen Bereich liege. Es gebe keinen Zulauf für extreme Parteien. Dies war in Österreich der Fall, wo überproportional viele Jugendliche die rechtsextreme Partei FPÖ wählten. Laut Lorig hätten Soziologen festgestellt, dass Jugendliche nicht besonders an etablierter Politik interessiert, allerdings positiv gegenüber der Gesellschaftsordnung eingestellt seien.
Lorig folgert daraus, die Kommunalpolitik müsse verstärkt zum Lerninhalt an Schulen werden. Schulen müssten sich auch in der politischen Bildung öffnen, indem außerschulische Akteure für den Unterricht gewonnen würden. Den Parteien schreibt der Professor ins Stammbuch, sie müssten "intensiver und sensibler mit jugendpolitischen Themen auf Kommunalebene umgehen und sie in ihre Arbeit integrieren".