Trinken bis zum Umfallen

In der offiziellen Berliner Polizeistatistik dieses Jahres ist sie Nummer 372. Das Mädchen ist erst 15 Jahre alt, sie liegt derzeit auf der Intensivstation, weil sie sich mit einer Flasche Wodka ins Koma beförderte. Berlin ist überall: Bundesweit machen Jugendliche immer wieder Schlagzeilen, wenn sie bis zum Umfallen trinken. Zumal der Griff zur Flasche für manchen schon tödlich endete.

Berlin. Die Alkoholexzesse Jugendlicher nehmen zu. Deshalb hat die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD), gestern in Berlin Experten eingeladen, um bei der Fachtagung "Voll drauf - neue Formen jugendlichen Alkoholkonsums" nach Mitteln und Wegen zu suchen, den steigenden Alkoholmissbrauch des Nachwuchses zu stoppen. "Binge-Drinking", "Koma-Saufen", "Flatrate-Parties" - nur wenige der vielen Schlagworte, die die öffentliche Diskussion zum Alkoholkonsum junger Menschen in den vergangenen Monaten angeheizt haben. Wurden im Jahre 2000 "nur" 9500 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Krankenhaus wegen akuter Alkoholvergiftung behandelt, so hat sich die Zahl der Fälle 2005 mit 19 400 mehr als verdoppelt. Darunter waren auch 3500 Kinder zwischen zehn und 15 Jahren. "Dieser Trend setzt sich ungebrochen fort", berichtet Bätzing. Jeder fünfte 14-Jährige trinkt wöchentlich Spirituosen, ein Viertel der Jugendlichen pflegt einmal im Monat das Rauschtrinken - "anderthalb Flaschen Wodka am Abend", so Oliver Bilke, Chef einer Berliner Kinder- und Jugendklinik. Die Zahl derer, die bereits mit 15 oder 16 Jahren behandlungsbedürftig seien, habe sich in den vergangenen Jahren verzehnfacht. Viele Jugendliche, die er behandle, seien wegen des Alkohols "ängstlich und depressiv"Mädchen ziehen mit den Jungs gleich

Das Einstiegsalter beim Griff zur Flasche habe sich zudem deutlich verringert, ergänzt Ulrike Ravens-Sieberer von der Universität Bielefeld: Derzeit liegt es bei 13 Jahren, allerdings trinken auch schon ein Prozent der Elfjährigen regelmäßig. Einen Geschlechterunterschied gibt es überdies nicht mehr: "Die Mädchen sind mit den Jungs gleichgezogen", sagt die Expertin. Bätzing macht deutlich, dass das Jugendschutzgesetz konsequenter als bisher anzuwenden ist. Kommunen, Einzelhandel und Gastronomen könnten dies noch einmal durch "Selbstverpflichtungen" unterstreichen. Sie sei auch für die umstrittenen Testkäufe, allerdings müssten die Jugendlichen vorher geschult werden und mindestens 16 Jahre alt sein. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat diesen Plan, der Testkäufe ab 14 Jahre vorsieht, zurückgezogen. Die Drogenbeauftragte und die Wissenschaftler plädieren zudem für eine bessere Prävention, eine "Kultur des Hinsehens", und dafür, dass sich Erwachsene ihrer Vorbildfunktion deutlich bewusster sein müssten. Viele Jugendliche wollten am Wochenende dem "Funktions- und Leistungsdruck" entfliehen, betreiben die Experten Ursachenforschung. "Alkohol ist immer und überall verfügbar", kritisieren sie. Die Altersvorgabe für den Erwerb wie beim Rauchen von 16 auf grundsätzlich 18 Jahre zu erhöhen, darin sehen die Experten allerdings keinen Sinn. Bätzing: "Die Schädlichkeit von Zigaretten ist größer als die von einem Glas Bier."

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