Tschernobyl ist der Maßstab für Fukushima

Angesichts der Katastrophe im Atomkraftwerk (AKW) Fukushima Eins ziehen japanische Ingenieure einen "Sarkophag" wie in der Ukraine in Erwägung. Dort war das Katastrophen-AKW von Tschernobyl vor 25 Jahren mit Beton und Blei ummantelt worden. Doch der Weg dahin wäre weit.

Kiew/Moskau. Bedrohlich ragt das stillgelegte Atomkraftwerk Tschernobyl rund 75 Meter hoch in den Himmel. Der "Sarkophag" mit dem rot-weißen Schlot ist auch ein Mahnmal, das an die Höllenkräfte der außer Kontrolle geratenen Kernenergie erinnert. Seit der verheerenden Reaktorkatastrophe vor knapp 25 Jahren gilt der hässliche Betonklotz als bekannteste Ruine der Ex-Sowjetrepublik.

Strahlung muss erst abklingen



Damals bauten Techniker nach der Kernschmelze und anschließenden Explosion innerhalb von sechs Monaten einen riesigen "Sarkophag" um den havarierten Meiler, um die tödliche Strahlung zu stoppen.

Bei dem schwer beschädigten japanischen AKW Fukushima Eins wird nun ebenfalls ein solcher Schutzmantel erwogen. Die dafür erforderlichen Arbeiten wären erst möglich, wenn Hitze und akute Strahlung abgeklungen sind. Zumindest wird in Fukushima mit jedem Tag, an dem die Einsatzkräfte eine komplette Kernschmelze verhindern, eine Explosion wie in Tschernobyl unwahrscheinlicher.

Wegen der Zerstörungen sei aber eine Isolierung in Japan nahezu unvermeidbar, meint der Vize-Direktor in Tschernobyl, Alexander Nowikow. "Das könnte unserem Sarkophag sehr ähnlich werden. Es gibt allerdings heute moderne Baumaterialien wie etwa Schaumbeton."

Ein Problem sei, dass in Fuku-shima vier Reaktoren auf engem Raum stünden, sagte Nowikow der ukrainischen Ausgabe der Zeitung Komsomolskaja Prawda. "Falls man dort einen Schutzmantel baut, muss die ganze Welt helfen. Kein Land wird mit einem solchen Unfall allein fertig."

Mit 7000 Tonnen Blei und 300 000 Tonnen Beton hatten "Freiwillige" nach der Katastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 den zerstörten Reaktorblock verschlossen. Tausende Arbeiter - vor allem Soldaten und Kranführer in bleiverkleideten Kabinen - erlitten dabei schwere Gesundheitsschäden. Ungezählte Hubschrauberflüge waren nötig. Auch ferngesteuerte Technik wurde eingesetzt.

Doch Konstruktion und Zustand des "Sarkophags" beunruhigen die Experten. Regen, Frost und Sturm setzen der von der Sowjetunion ohne lange Planung errichteten Hülle zu. Risse durchziehen den Mantel. Zudem stützt sich der Bau auf die Reste des Blocks, von denen keiner weiß, wie stabil sie sind.

Angst vor der Strahlenwolke



Nach der bislang schwersten Katastrophe in der Geschichte der zivilen Nutzung der Kernenergie lagern in Tschernobyl noch immer rund 200 Tonnen Brennstoff als radioaktiver Trümmerberg hinter 15 Meter dickem Beton. Bräche der Mantel, würde eine strahlende Wolke aufsteigen. Experten favorisieren den Bau einer stabilen Hülle für die nächsten 100 Jahre, allerdings würde das Projekt mindestens 900 Millionen Euro kosten - zu viel für die verarmte Ukraine. Zuletzt bewilligte die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung 195 Millionen Euro für die Sanierung des "Strahlengrabs". Bereits für das Abschalten des letzten der insgesamt vier Blöcke Ende 2000 hatte Kiew EU-Ausgleichszahlungen erhalten.

"Die Sicherheit Europas und der Welt hängt nicht an den funktionierenden Reaktorblöcken, sondern an dem einen zerstörten", mahnte die ukrainische Wochenzeitung Serkalo Nedeli einmal. Der "Sarkophag" sei eine tickende Zeitbombe.

Der bröckelnde Schutz ist Ende April auch Thema einer internationalen Tschernobyl-Konferenz, wie Medien in Kiew am Sonntag berichteten. Nach Schätzungen des Zentrums für Umweltpolitik in Russland leiden die Ukraine und das benachbarte Weißrussland "noch in 150 Jahren" unter der Katastrophe.

An die Sicherheit in Tschernobyl sollen übrigens nicht einmal sowjetische Experten geglaubt haben. Lange vor der Katastrophe von 1986 hätten sie vor Mängeln gewarnt, berichtet das Magazin Der Spiegel unter Berufung auf bisher unveröffentlichte Sitzungsprotokolle der Kreml-Führung. Die Appelle, Atomanlagen abzuschalten, seien von Moskau aber nicht erhört worden.

EXTRA EXTRA



Mahnwachen gegen Atomkraft: In diesen Städten der Region gibt es heute Mahnwachen der Anti-Atomkraft-Bewegung: Bernkastel-Kues: 18 bis 18.30 Uhr, Karlsbader Platz; Bitburg: 18 Uhr bis 18.30 Uhr, Am Spittel/Postvorplatz; Morbach: 18 bis 19 Uhr Unterer Markt; Trier: 18 Uhr, Kornmarkt, anschließend 18.30 Uhr Stadtrundgang; Wittlich: 18.30 Uhr, Marktplatz. red(Quelle: ausgestrahlt.de, Stand 20. März)

EXTRA EXTRA



Oma und Enkel gerettet: Neun Tage Hoffen und Warten - dann kam die Rettung. Die 80-jährige Sumi Abe und ihr 16-jähriger Enkel Jin Abe wurden am Sonntag von Einsatzkräften aus den Trümmern eines Hauses in Ishinomaki, in der mit am schwersten betroffenen Provinz Miyagi, befreit. Wie der Fernsehsender NHK berichtete, waren die beiden geschwächt aber weitgehend unverletzt. Allerdings sei der Junge sehr unterkühlt gewesen und habe kein Gefühl im linken Knöchel. Als die Erde am Freitag vorvergangener Woche gebebt habe, seien Großmutter und Enkel in der Küche gewesen, berichtete Jin Abe Helfern in der Klinik. Großmutter Sumi sei unter schweren Möbelstücken, vermutlich einem Kühlschrank, eingeklemmt worden. Joghurt und andere Lebensmittel, die in einem Kühlschrank des zerstörten Hauses lagen, ernährten die beiden, berichtete NHK weiter. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort