Über eine Stunde bis Notarzt kommt: Geschrien vor Schmerzen

Trier/Bad Bertrich · Eine 71-Jährige Triererin hat nach einem Sturz, bei dem sie sich einen Oberschenkelhalsbruch zuzog, nach eigener Auskunft über 90 Minuten auf Hilfe gewartet. Verantwortliche bestätigen zeitliche Verzögerungen.

 Rettungswagen der Feuerwehr im Einsatz (Symbolfoto)

Rettungswagen der Feuerwehr im Einsatz (Symbolfoto)

Foto: Friedemann Vetter

Trier/Bad Bertrich. Es hätte ein erholsamer Tag im Thermalbad in Bad Bertrich (Kreis Cochem-Zell) werden sollen. Doch schon auf dem Parkplatz vor dem Schwimmbad ist vor dreieinhalb Wochen für eine 71-jährige Trie-rerin dieser Wunsch abrupt beendet worden. Sie ist in einer Dehnungsfuge hängen geblieben, gestürzt. . "Ich habe geschrien vor Schmerzen", sagt die 71-Jährige. Die Tochter, die die ihre Mutter und ihren Vater ins Schwimmbad begleiten wollte, bittet eine Mitarbeiterin des Schwimmbads, einen Krankenwagen zu rufen. Ein herbeigerufener Kurarzt gibt ihr in der Zwischenzeit eine Schmerzspritze.
Kein Rettungswagen frei


Laut dem unserer Zeitung vorliegenden Einsatzprotokoll geht der Notruf in der für Bad Bertrich zuständigen Leitstelle um 9.55 Uhr ein: Ein Fußgänger sei gestürzt, Verdacht auf Oberschenkelhalsbruch. Doch weder in der elf Kilometer entfernten Rettungswache in Lutzerath noch in der 17 Kilometer von Bad Bertrich liegenden Wache in Zell steht an diesem Mittwochmorgen ein Rettungswagen zur Verfügung. Die Koblenzer übergeben den Einsatz an die Trierer Leitstelle bei der Berufsfeuerwehr. Der nächste freie Rettungswagen an diesem Morgen steht in Manderscheid, rund 27 Kilometer von Bad Bertrich entfernt. Dieser hat sich nach Auskunft des ärztlichen Leiters Rettungsdienstes in Trier, Manfred Schiffer, sofort mit Blaulicht auf den Weg gemacht. Mittlerweile ruft die Tochter gegen 10.18 den Notruf an, bekommt zu hören, dass ein Rettungswagen unterwegs sei. Um 10.28 Uhr trifft dieser, "33 Minuten nach Notrufeingang". Die Tochter und ihre Mutter bestreiten dies. Es habe bis zu 90 Minuten gedauert, in dieser Zeit hätten mehrere Leute unter der Notrufnummer angerufen.
Die Rettungsassistenten können der 71-Jährigen nicht helfen. Er dürfe ihr kein Schmerzmittel geben, weil er nicht dafür ausgebildet sei, soll einer der Helfer gesagt haben. Sie alarmieren über die Trierer Leitstelle einen Notarzt. Doch alle in der Umgebung stationierten Notärzte sind im Einsatz. Die Leitstelle fordert einen Luxemburger Rettungshubschrauber an. 25 Minuten braucht dieser, bis er in Bad Bertrich um 10.59 Uhr landet. Das sei, so Schiffer, die schnellste Möglichkeit gewesen, einen Notarzt zu der Patientin zu bringen. Warum nicht gleich ein Notarzt nach Bad Bertrich beordert worden ist, kann Schiffer nicht sagen. Wenn beim Notruf gesagt werde, dass ein Patient über starke Schmerzen klage, könne zusätzlich zum Rettungswagen ein Notarzt geschickt werden. Bei Verdacht auf Herzinfarkt oder Schlaganfall werde generell ein Notarzt entsandt. Rettungsassistenten dürften nur dann bestimmte Schmerzmittel verabreichen, wenn sie dafür ausgebildet seien. Der Hubschrauber bringt die 71-Jährige ins Trierer Brüderkrankenhaus, wo der komplizierte Oberschenkelhalsbruch noch am gleichen Abend operiert wird.
Seit zwei Wochen befindet sie sich in einer Reha-Klinik, hat noch immer Schmerzen. "Ich muss immer daran denken, wie ich da gelegen haben." Sie werde lange brauchen, bis sie das Erlebte verarbeitet habe. Schiffer spricht von einer "unglücklichen Verkettung von Ereignissen".

Die Leitstelle Trier ist für die komplette Region Trier zuständig, eine Fläche von rund 5000 Quadratkilometern mit 23 Rettungswachen, elf Notarztwachen, 834 Feuerwehren, der ADAC-Rettungshubschrauber in Wittlich und die Hubschrauber der Luxemburger Luftrettung können direkt alarmiert werden. Die Leitstelle bei der Berufsfeuerwehr hat einen Überblick über alle zur Verfügung stehenden Rettungswagen und Notärzte. Pro Tag werden im Schnitt bis zu 300 Einsätze koordiniert. wie

Leserbrief zum Artikel vom 22.08.2011

"Über eine Stunde bis der Notarzt kommt: Geschrien vor Schmerzen"

Ihre Anzeige schildert eine Situation, wie sie jeden Tag vorkommen kann und es ist sicherlich richtig, wenn Herr Schiffer sagt, dass es sich beim zeitlichen Ablauf um eine unglückliche Verkettung von Ereignissen gehandelt habe.

Unglücklich war wohl in erster Linie der zeitliche Ablauf den Notarzt betreffend. Zeitig vor Ort waren allerdings die Kollegen vom Rettungsdienst, die allerdings zu Recht auf die mangelhafte rechtliche Situation hinweisen. Dieser Fall lässt wieder einmal das Dilemma in unserem Rettungswesen erkennen, denn die Schulen im Rettungsdienst bilden sehr wohl auch in den Bereichen Pharmakologie (Medikamentenkunde) aus. Es wird sehr wohl die Analgetikagabe (Schmerzmittelgabe) gelehrt. Jedoch ist die Gabe von Medikamenten dem Rettungsassistenten verboten, da er mit dieser Maßnahme gegen das Heilpraktikergesetz (Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung) vom 17. Februar 1939 verstößt, welches medizinische Maßnahmen unter den sog. Arztvorbehalt stellt.

Herr Schiffer sagt, dass Rettungsassistenten bestimmte Schmerzmittel verabreichen dürfen. Es ist jedoch nur ein einziges Schmerzmittel, dass im Rahmen des § 34 StGB (rechtfertigender Notstand), verabreicht werden soll. Es handelt sich hier um Paracetamol 1000mg , wenn auch i.v. (auch bekannt unter ben-u-ron). Aber auch dies verstößt gegen das Heilpraktikergesetz.

Des Weiteren sagt Herr Dr. G. Scherer, ebenfalls ärztlicher Leiter: "999 Patienten mit weniger Schmerzen über einen überschaubaren Zeitraum rechtfertigen nicht einen einzigen toten Patienten, der ohne Analgetikagabe nicht gestorben wäre" (Zitat)

Dennoch verabreichen Rettungsassistenten oftmals starke Schmerzmittel, auch gegen das Gesetz. Sie tragen hierfür die volle Verantwortung selbst, da es vom Patienten erwartet wird und es moralisch nicht zu vertreten ist, den Patienten leiden zu lassen. Gleichzeitig macht sich der Rettungsassistent strafbar und zum Spielball der Justiz.

Er kann sich aussuchen, ob er wegen Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz belangt wird, oder aber wegen unterlassener Hilfeleistung angezeigt wird. Dies ist jüngst so geschehen.

Erst vor kurzem wurden zwei Kollegen von einer Ärztin wegen unterlassender Hilfeleistung angezeigt, weil sie ein Medikament (Buscopan), welches zwar auf einem Rettungswagen vorgehalten wird, aber aufgrund der Gesetzeslage nur von einem Arzt verabreicht werden darf, nicht verabreicht haben. Das Verfahren läuft noch.

Es kann nicht sein, dass Rettungsassistenten zum Spielball der Ärzte und deren Standesdenken gemacht werden. Es wird endlich Zeit, dass notwendige Maßnahmen, auf die der Patient ein Recht hat, legal durchführt werden dürfen, ohne das ein Rettungsassistent Angst haben muss rechtlich belangt zu werden, denn Tatsache ist, dass in dieser Grauzone täglich gearbeitet werden muss.

Roman Reimer, Rettungsassistent, Brauneberg
Christian Doeres, Rettungsassistent, Bernkastel-Andel
Thomas Bollig, Rettungsassistent, Bernkastel-Kues
Christof Roegler, Rettungsassistent, Bernkastel-Kues
Guido Gerber, Rettungsassistent, Piesport
Karin Noble, Rettungsassistentin, Morbach
Alexander Nauert, Rettungsassistent, Sehlem
Anita Gerhard, Rettungsassistentin, Morbach
Gregor Sicken, Rettungsassistent, Mülheim
Michael Roßwinkel, Rettungsassistent, Wittlich
Katrin Pauly, Rettungsassistentin, Wintrich
Julia Terres, Rettungsassistentin, Konz

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