"Umarmt den Islam"

Sein Bart ist kürzer als im letzten Video vor drei Jahren und nun schwarz gefärbt. Er trägt keine Militärkleidung wie in früheren Aufnahmen und auch keine Kalaschnikow, sondern eine traditionelle arabische Robe und Kopfbedeckung. Mit neuem Äußeren zeigt sich El Kaida-Führer Osama bin Laden bei seinem ersten Auftritt seit dem Vorabend zu den US-Präsidentschaftswahlen im Jahr 2004, wo er sich zuletzt in Wort und Bild gemeldet hatte.

Washington. Ein Terror-Chef, der sich nicht mehr in erster Linie als martialischer Krieger, sondern als spiritueller Denker darstellen will - aber dennoch, so sehen es Sicherheitskreise, mit der Veröffentlichung des Streifens unmittelbar vor dem Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 das Signal für neue Attacken geben könnte. Vor einer Rede vor außenpolitischen Experten erklärte CIA-Direktor Michael Hayden nach dem Auftauchen des Videos, seine Fachleute glaubten an die Planung von folgenreichen Angriffen gegen die USA, wobei "dramatische Zerstörung, Massen-Verluste und ökonomische Schockwellen" das Ziel seien. Zwar verbreitet Osama bin Laden nicht explizit neue Drohungen, doch seine Worte lassen an Deutlichkeit kaum zu wünschen übrig: Er verdammt nicht nur US-Präsident George W. Bush, sondern die Repräsentanten des weltweiten Kapitalismus' und der Globalisierung, die die wahren Terroristen seien. Er beschimpft die US-Demokraten dafür, dass sie das amerikanische Engagement im Irak nicht beenden - und kündigt gleichzeitig an, die Kämpfe und das Töten dort auszuweiten. Er nimmt Bezug auf aktuelle Ereignisse wie den Wahlsieg des französischen Präsidenten Sarkozy oder die Debatte über die globale Erwärmung, um zu zeigen, dass die Aufnahmen aktuell sind und nicht vorproduziert wurden. Und dann folgt noch die Einladung an alle, "den Islam zu umarmen" - sprich zu dieser Religion zu konvertieren.US-Präsident: Botschaft rechtfertigt Irak-Krieg

Der US-Präsident reagierte auf die Aussagen bin Ladens mit einer Erklärung in Australien: Es sei "eine Erinnerung daran, dass wir in einer gefährlichen Zeit leben" und "Entschlossenheit zeigen, uns zu beschützen". Dann lässt Bush den gut bekannten Rechtfertigungsversuch folgen: Die Aussagen zeigten, dass der Irak Teil des Krieges gegen Extremisten sei. Das Video, das am Wochenende von den wichtigsten US-Fernsehsendern zumindest in Auszügen wiedergegeben wurde, war bereits stundenlang in Händen amerikanischer Geheimdienste, bevor es auf islamischen Webseiten lief. Erstmals war es den Computerexperten der Terrorabwehr gelungen, eine Botschaft des Terror-Drahtziehers abzufangen, bevor sie an die breite Öffentlichkeit gelang. Doch neue Hinweise auf den Aufenthaltsort bin Ladens oder seinen Gesundheitszustand - er soll schwer nierenkrank sein - ergaben sich nach einer ersten Analyse nicht, wie zu hören war. Damit geht die für das Weiße Haus frustrierende Suche nach dem El-Kaida-Chef weiter - eine Fahndung, die angesichts des neuen Videos erneut vor allem eine Frage aufwirft: Wieso ist die größte und mächtigste Militärmacht der Welt trotz Spionage-Satelliten, Aufklärungs-Drohnen, einer Millionenbelohnung und Bodentruppen nicht in der Lage, einen bekannten, gesundheitlich angeschlagenen Mann aufzuspüren? Nur Tage nach den Anschlägen des 11. September 2001 hatte US-Präsident Bush noch versprochen, man werde Osama bin Laden "tot oder lebendig" fangen. Doch seit es diesem gelang, im Dezember 2001 bei der Schlacht um Tora Bora in Afghanistan zu entkommen, weil die US-Militärs, einer Anweisung des risikoscheuen Ex-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld folgend, das gefährliche Durchkämmen der Bunker in der Bergregion lieber den afghanischen Kämpfern der Nord-Allianz überließen, sind die Spuren kalt geworden. Bruce Riedel, ein früherer Antiterror-Spezialist der CIA, erklärte kürzlich: "Wir hatten seit fünf Jahren keinen wirklich ernstzunehmenden Hinweis. Was wir heute bei der Fahndung machen, sind Schüsse ins Dunkle - mit null Aussicht, ihn zu treffen." Ein einziges Mal, so ist aus Geheimdienstkreisen zu hören, sei man in der Nähe des Terror-Chefs gewesen - und dies auch nur aus purem Zufall. Sicherheitsexperten in den USA weisen heute darauf hin, dass die Bush-Regierung selbst die Suche nach bin Laden unnötig erschwert habe. Da ist zum einen die Irak-Invasion, die einen Großteil der US-Kräfte heute an einem Ort bindet, wo El Kaida erst nach Einmarsch der "Koalition der Willigen" zu einem Faktor wurde. Zum anderen sucht die amerikanische Außenpolitik weiter nach dem richtigen Umgangston gegenüber Pakistans Präsidenten Pervez Muscharraf, der die Schlüsselfigur für die Fahndungsstrategie im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet darstellt - jener Region, in der sich mit großer Wahrscheinlichkeit bis heute der meistgesuchte Terrorist auf dieser Welt dank der Hilfe sympathisierender Stämme dem Zugriff seiner Häscher entziehen konnte.

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