Umstrittene Tarifeinheit lässt Lokführergewerkschaft zittern

Berlin · Vor dem Hintergrund des laufenden Streiks bei der Bahn gewinnt das geplante Gesetz zur Tarifeinheit zunehmend an Brisanz. Denn einmal in Kraft, könnte es der Lokführergewerkschaft GdL die Grundlage für weitere Arbeitskämpfe entziehen. Bei einer Expertenanhörung gestern im Bundestag wurden starke Bedenken zur Verfassungsmäßigkeit der Regierungsvorlage laut.

Berlin. Der Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sieht vor, dass künftig nur der Tarifvertrag in einem Betrieb anwendbar ist, den die Arbeitgeber mit der mitgliederstärksten Gewerkschaft abgeschlossen haben. Dies gilt für alle Fälle, in denen konkurrierende Gewerkschaften für dieselben Beschäftigtengruppen Lohnabschlüsse durchsetzen wollen und sich untereinander nicht einigen können. Kritiker geben dem Vorhaben eine Mitschuld an der Eskalation des Tarifkonflikts bei der Bahn. Denn das Streikrecht einer Gewerkschaft, die am Ende nicht tariffähig ist, liefe praktisch ins Leere. In der Auseinandersetzung bei der Bahn konkurriert die kleinere GdL mit der größeren Eisenbahngewerkschaft EVG um Macht und Mitglieder. GdL-Chef Klaus Weselsky mutmaßte daher gestern erneut, dass die Bahn einen Tarifabschluss bis zum Inkrafttreten des Gesetzes verzögern wolle, um die GdL auf diese Weise kaltzustellen. Die Vorlage wird voraussichtlich am 21. Mai im Bundestag verabschiedet und könnte schon ab Juli gelten.
In der Anhörung verteidigte DGB-Chef Reiner Hoffmann das Gesetz mit dem Hinweis, dass es die Konkurrenz zwischen einzelnen Berufsgruppen minimieren könne. Vertreter der Arbeitgeberseite, die das Gesetz ebenfalls für geboten halten, sahen die Notwendigkeit zum Kompromiss gestärkt. Überhaupt, so das Argument der Gesetzes-Befürworter, dürften kleine Gewerkschaften nicht ein ganzes Unternehmen lahmlegen können, um ihre jeweiligen Mitglieder zu privilegieren.
Die von der Opposition aufgebotenen Fachleute kamen zu ganz anderen Einschätzungen. Durch die Vorlage erodiere das Streikrecht, meinte der Rechtsanwalt und ehemalige FDP-Innenminister Gerhart Baum. Die Minderheitsgewerkschaften würden zu "Sekundärgewerkschaften", weil sie sie keine Mitglieder mehr bekämen. Das Grundgesetz garantiere aber "die Bildung von Gewerkschaften für jedermann", erklärte der Rechtswissenschaftler Wolfgang Däubler. Von diesem Grundrecht bliebe jedoch "nichts mehr übrig". Auch könne der Arbeitgeber einen Betrieb "so zerschneiden, dass die von ihm geschätzte Gewerkschaft eine Mehrheit kriegt", warnte Däubler.
Das sieht GdL-Chef Weselsky genauso. Allein die Bahn besteht aus rund 300 Betrieben. Für den Fall des Inkrafttretens des Gesetzes zur Tarifeinheit haben die GdL und andere Spartengewerkschaften eine Verfassungsklage in Karlsruhe angekündigt. vet

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