Ungeheuer in der Fremde
"Wir müssen uns bewusst sein, dass Amerika weder allmächtig noch allwissend ist. Wir machen nur sechs Prozent der Weltbevölkerung aus und können den übrigen 94 Prozent der Menschheit unseren Willen nicht aufzwingen.
Wir sind nicht in der Lage, alles Unrecht zu beseitigen und jeder Not abzuhelfen. Deshalb kann es nicht für jedes Problem dieser Welt eine amerikanische Lösung geben." Gedanken von Präsident John F. Kennedy, der sich in der heißen Phase des Kalten Krieges einer Tugend erinnerte, die einst die Politik der Vereinigten Staaten kennzeichnete: vornehme Zurückhaltung, ja: Isolationismus. Kennedys Vorgänger John Quincy Adams sagte vor fast zweihundert Jahren: "Amerika trachtet nicht danach, in die Fremde zu ziehen, um Ungeheuer zu vernichten." George W. Bush und die Seinen interpretieren ihre Mission - wie einige andere US-Regierungen zuvor - umgekehrt: Sie ziehen aus, um Ungeheuer zu vernichten. Mit ungewissem Ausgang. Alle Kraft gilt dem Kampf gegen Bösewichter wie Saddam Hussein. Wenn die erledigt sind, beginnt hektisches Pläneschmieden für die Zeit danach. Nun also heißt die Devise: der Irak den Irakern. Klingt gut, ist aber stümperhaft vorbereitet. Die Besatzer sollen gehen, die Beschützer bleiben. Eine irakische Regierung übernimmt die Macht, die USA ziehen weiter die Strippen, gestützt von der "Koalition der Willigen". Wirklich eine Lösung? Um Bürgerkrieg, Chaos und Anarchie zu verhindern, hilft nur eines: die totale Unterstützung der Weltgemeinschaft, inklusive der neuen und der alten Europäer. Das Zweistromland wird sich nicht über Nacht in eine Westminster-Demokratie verwandeln. Aber nichts bereitet besser den Boden als Brot, Wasser, Medikamente und Strom für alle, gut bestückte Märkte, offene Schulen, freie Presse. Und: Sicherheit. Die Hälfte der Iraker ist arbeitslos - und leicht von Terroristen zu verführen. Dem Volk Perspektiven für ein Leben in Freiheit und Wohlstand zu geben, ist die wirkungsvollste Strategie gegen mörderischen Terror. Demokratie lässt sich nicht mit Waffen erzwingen, sie muss aus der Gesellschaft wachsen. Nicht unbedingt die "amerikanische Lösung" im Geiste des Welt-Sheriffs George W. Bush - aber eine menschliche. p.reinhart@volksfreund.de