Ungeheuerlich

1962. Bischöfe auf der ganzen Welt erhalten vom Vatikan ein Schreiben, das auf Anweisung Roms nach dem Lesen in die Geheimarchive wandert. Mit gutem Grund: Die obersten Hüter des katholischen Glaubens ordnen nicht nur die Vertuschung sexueller Übergriffe von Priestern an, sondern, viel schlimmer: Sie drohen Opfern, die ihr Leiden öffentlich machen, mit Exkommunikation.

2003. Fast 40 Jahre sind seither ins Land gegangen, die Kirche ist moderner geworden, offener und selbstkritischer. Mit dem Papier konfrontiert, tut der Vatikan das einzig Akzeptable: Er distanziert sich von der Anordnung, entschuldigt sich für Fehler der Vergangenheit und legt dar, wie man heute in entsprechenden Situationen verfährt. Sollte man meinen. Stattdessen hieß es gestern in der vatikanischen Pressestelle lapidar, es gebe zurzeit keine Reaktion. Willkommen im Jahr 1962. Die Kirche schweigt und sitzt aus. Angesichts eines solchen Verhaltens stellen sich nicht nur ihre Kritiker die Frage: Welche skandalösen Schreiben wandern heutzutage in die Geheimarchive? Denn Schweigen erweckt unweigerlich den Eindruck eines Einverständnisses, wenn es um Ungeheuerliches geht. In diese Kategorie fällt die Vertuschungs-Anordnung ohne Zweifel - erst recht, weil sie von einer Institution kommt, die stets Nächstenliebe propagiert. Und wenn nun in den nächsten Tagen die Zahl der Kirchenaustritte wieder einmal in die Höhe schnellt, beklagenPastor, Bischof & Co. einen Werteverfall in der Gesellschaft… i.kreutz@volksfreund.de

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