Ungewollte Hilfe

Berlin. Die Bundesregierung will Arbeitslose verstärkt als Erntehelfer einsetzen. Bei den Landwirten trifft die Entscheidung auf kritischen Boden.

Ob die große Koalition zu einer innenpolitischen Erfolgsgeschichte wird, hängt am Ende davon ab, ob es dem neuen Arbeitsminister Franz Müntefering und Schwarz-Rot gelingt, das Millionen-Heer der Arbeitslosen entscheidend zu verringern. Vor diesem Hintergrund muss auch der jüngste Vorstoß des Vize-Kanzlers gewertet werden. Danach sollen deutsche Arbeitslose ab dem kommenden Jahr anstelle von ausländischen Saisonarbeitern verstärkt den Bauern bei der Ernte helfen. Gestern holte sich Müntefering für diesen Plan den Segen des Kabinetts. In diesem Jahr waren in Deutschland rund 325 000 ausländische Saisonarbeiter beschäftigt. Sie kamen vorwiegend aus Polen. Die gestern beschlossene Eckpunkteregelung sieht vor, dass ab kommendem Jahr jeder Betrieb nur noch bis zu 80 Prozent der in 2005 zugelassenen Arbeitskräfte aus Mittel- und Osteuropa ohne Einzelfallprüfung beschäftigen darf. Bereitschaft zur körperlichen Anstrengung

Rund 260 000 Ausländer dürfen also 2006 problemlos wie bisher im Gastgewerbe oder in der Landwirtschaft saisonal beschäftigt werden. Erst wenn die Arbeitsagenturen nach gründlicher Prüfung bescheinigen, dass für die entsprechenden Tätigkeiten keine einheimischen Arbeitslosen vermittelt werden können, darf die Zahl ausländischer Saisonkräfte von 80 auf höchstens 90 Prozent, also um 32 500 erhöht werden. Zehn Prozent der Jobs von 2005, also ebenfalls 32 500, sollen aber in jedem Fall ausschließlich für Deutsche reserviert sein. In Kleinbetrieben dürfen weiterhin maximal vier ausländische Saisonkräfte arbeiten, ohne dass eine besondere Überprüfung stattfindet. Schon im Februar und März waren von der alten rot-grünen Bundesregierung ähnliche Überlegungen angestellt worden, nachdem die Arbeitslosenzahl erstmals die Fünf-Millionen-Marke übersprungen hatte. Im April 2005 hatte die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit (BA) sich für eine ähnliche Lösung ausgesprochen, wie sie Müntefering jetzt angehen will. Damals war von der BA außerdem eine so genannte "grüne" Personalservice-Agentur (PSA) vorgeschlagen worden. Dort sollten Erwerbslose für die Arbeit in der Landwirtschaft und in den "grünen Berufen" qualifiziert werden. Um Ausfälle bei deutschen Kräften im Ernteeinsatz zu vermeiden, war sogar daran gedacht, für Erntehelfer "körperliche Trainings" einzurichten. Erntearbeiten, etwa im Spargelanbau oder im Weinbau, setzten nun einmal die Bereitschaft zur körperlichen Anstrengung voraus. Zudem ist oft der Einsatz an sieben Tagen in der Woche bei Wind und Wetter erforderlich. Die Landwirte sollten auch stärker an der Auswahl "motivierter und fähiger Saisonarbeiter" beteiligt werden. Aus dem Arbeitsministerium in Berlin war gestern zu hören, dass die Überlegungen vom Frühjahr jetzt wieder aufgegriffen und diskutiert werden sollen, damit "rechtzeitig" zur Erntesaison ein "praktikables Konzept" stehe.

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