Union wetzt das Messer

BERLIN. Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik wird zum Top-Thema im Wahlkampf. Nach einer Umfrage der arbeitgebernahen "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" sehen rund 52 Prozent der Deutschen beim Arbeitsmarkt den größten Reformbedarf.

Allerdings hält sich das Vertrauen in die großen Parteien, eine solche Aufgabe geschlossen zu meistern, stark in Grenzen. Für 46 Prozent der Befragten sind weder Union noch SPD oder Grüne dazu in der Lage. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt wird deshalb nicht müde, für eine Kehrtwende im Sozialbereich zu trommeln. Die soziale Sicherung sei in Deutschland übertrieben worden, klagte er erst gestern wieder in einem Interview. Diesen Befund kann im Grundsatz auch die Union unterschreiben. Zwar sucht CDU-Chefin Angela Merkel einstweilen die Gemüter zu beruhigen ("Wir wollen auf gar keinen Fall jetzt soziale Sicherheit in irgendeiner Weise in Frage stellen"). Doch in ihrem Lager mehren sich die Stimmen für eine härtere soziale Gangart. Nach CSU-Chef Edmund Stoiber mahnte gestern auch Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) ein klares Bekenntnis zu Einschnitten ins soziale Netz an. Der SPD wiederum, die zwischen Schröder-Agenda und Sozialstaat hin und her schlingert, kommen solche Töne gerade recht, um in klassischer Manier vor einer "Umverteilung von unten nach oben" zu warnen. Nach diesem Muster dürften sich heute wieder die Geister im Bundestag scheiden. Zur Abstimmung steht eine "Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch". Hinter dem technischen Begriff steckt die von der SPD initiierte Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I. Im Gesetzblatt stand bereits, dass Arbeitslose ab Februar 2006 nur noch ein Jahr Arbeitslosengeld bekommen. Für Personen über 55 waren maximal 18 Monate vorgesehen. Nun soll die geltende Regelung, wonach Arbeitslose zwischen 45 und 57 gestaffelt bis zu 32 Monate Arbeitslosengeld erhalten, zwei Jahre länger erhalten bleiben. Die Kürzung würde demnach erst zum Februar 2008 greifen. Eigentlich sollte die Abschmelzung der Bezugsdauer den starken Trend zur Frühverrentung auf Kosten der Beitragszahler stoppen. Deshalb fügten sich die Grünen auch nur widerwillig dem Sinneswandel der SPD. Von den Genossen wurde der Schritt mit den geringen Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer begründet. Dagegen sieht die grüne Arbeitsmarktexpertin Thea Dückert "die Gefahr, dass die Frühverrentungspraxis weiter geht". So wird die Gesetzesänderung heute zwar mit Bauchschmerzen vom Bundestag verabschiedet. Doch am Ende wird die Union das Vorhaben zu Fall bringen. Vermittlungsausschuss ist wahrscheinlich

Schützenhilfe leistet der Kanzler-Plan für vorgezogene Neuwahlen. Die Verlängerung der geltenden Arbeitslosengeldregelung kann vom Bundesrat frühestens am 8. Juli behandelt werden. Kraft seiner Unionsmehrheit läuft alles auf eine Anrufung des Vermittlungsschusseses hinaus. Dadurch lässt sich das Gesetz über den angepeilten Wahltag am 18. September hinaus verzögern - und die Vorlage wäre nichtig. Die Union wirbt für ein Gegenkonzept, das bei Regierungsübernahme verwirklicht werden soll. Kern ist eine Umstellung der Bezugsdauer vom Lebensalter auf Versicherungsjahre. Wer länger in die Arbeitslosenversicherung einzahlt, soll auch mehr heraus bekommen.

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