"Unser Rudolf" wurde der Basis fremd

MAINZ. Rudolf Scharping hat die rheinland-pfälzische SPD geeint und 1991 an die Regierung gebracht. Doch seit Jahren schwindet die Bindung des einst über die Maßen geschätzten strategischen Kopfes zur Basis. Über seinen Rückzug als Parteivize herrscht Erleichterung.

Anfang September 2003, Parteitag der SPD in Koblenz: Wenig mitreißende Reden werden gehalten, SPD-Bundes-Parteivize Rudolf Scharping betritt die Rhein-Mosel-Halle und wird kurz begrüßt, doch die Reaktion der über 300 Delegierten ist mehr verhalten. Die Zeiten, als die rheinland-pfälzisch Genossen "unseren Rudolf" als Leitfigur und großen Wahl-Triumphator von 1991 begeistert feierten, sind endgültig vorbei. Der Westerwälder ist nach einer wechselhaften Karriere mit steilem Aufstieg und jähem Absturz weitgehend isoliert - selbst in seinem eigenen Landesverband. Scharpings schlagzeilenträchtige Fotos vom Plansch-Urlaub mit Gräfin Pilati auf Mallorca und seine umstrittener Kontakte zum Frankfurter PR-Berater Moritz Hunzinger, die kurz vor der Bundestagswahl 2002 zu seiner Entlassung als Verteidigungsminister führten, ernteten an der ihm vorher so wohl gesonnenen Parteibasis nur Unverständnis und Kopfschütteln. "Der Draht ist abgerissen", meint ein Genosse, der vor allem bei Scharping den Verlust von politischem Gespür ausmacht. Funkstille herrschte seit Monaten auch zwischen dem einstigen SPD-Vorsitzenden und Kurt Beck, seinem Nachfolger als Landes-Parteichef und Ministerpräsident. Beim Koblenzer Parteitag saßen beide ohne besonders freundlichen Gesichtsausdruck zeitweilig nebeneinander.Vor der Bundestagswahl 2001 hatte sich Beck für seinen politisch bereits angeschlagenen Vorgänger noch massiv und letztlich erfolgreich eingesetzt, um dessen Spitzenkandidatur auf der Landesliste mit einem achtbaren Nominierungsergebnis zu untermauern. Die "ein oder andere unglückliche Verhaltensweise" blieb so ohne zählbare Folgen. Doch im Frühjahr 2003 gab der Mainzer Regierungschef - zumindest zeitlich überraschend - seine Bewerbung für einen der Stellvertreter-Posten von Parteivorsitzenden Gerhard Schröder bekannt und brachte damit Scharping ohne Rücksprache in Zugzwang. Der reagierte äußerst pikiert und erklärte öffentlich, dass er noch nicht über eine erneute Kandidatur im November entschieden habe.Inzwischen lässt auch Beck seinen Vorgänger hochleben

Selbst die interne Andeutung eines Rückzugs dementierte er Monate später vehement, obwohl jedem Parteikenner klar war, dass nach nicht einmal mehr 60 Prozent Zustimmung bei der letzten Vorstandswahl ein Kandidat Scharping kaum noch mehrheitsfähig sein dürfte.Eine Kampfkandidatur Beck gegen Scharping werde es nicht geben, hieß dazu es in Mainz, auch wenn Beck seine Ambitionen kräftig unterstrich. Doch gleichzeitig war klar, dass es auch keine zwei Rheinland-Pfälzer in Schröders Stellvertreter-Riege geben würde. So erreichte Scharpings überraschender und klärender Anruf Kurt Beck am Sonntagabend beim Fußball auf dem Kaiserslauterer Betzenberg, während zeitgleich die ersten Meldungen vom geräuschvollen Abgang aus der Parteispitze über die Nachrichtenagenturen tickerten. Erleichterung machte sich einen Tag später bei den rheinland-pfälzischen Genossen über Scharpings Rückzug bereit. Dadurch werde Klarheit geschaffen und der Weg für Kurt Beck frei gemacht, so Generalsekretär Roger Lewentz. Die Forderung der Jungsozialisten nach einem Mandatsverzicht lehnt er jedoch als "Quatsch" ab. Nach Scharpings Ankündigung, Becks Kandidatur zu unterstützen, lässt auch der Ministerpräsident seinen Amts-Vorgänger hochleben: Dessen große Leistungen in der Bundes- und Landespolitik verdienten Dankbarkeit und Respekt. Doch die Solidaritäts-Adresse kann kaum zudecken, dass zwischen den Genossen und ihrem ehemaligen Vormann inzwischen Welten liegen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort