Unter den Augen der Kameras

BERLIN. Nach den schweren Bombenexplosionen in London wächst die Angst vor Terroranschlägen. Auch in Deutschland.

In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa gaben 51 Prozent der Befragten an, sie hätten Angst vor Anschlägen wie in London. Und nur 35 Prozent der Bundesbürger glauben, dass die Sicherheitsbehörden ausreichend gegen mögliche Anschläge vorbereitet sind. Politiker vor allem von CDU und CSU, aber auch der SPD spüren diese wachsende Sorge im Land, überlegen deshalb, ob Gesetze verschärft und ob neue oder bereits vorhandene Instrumente verstärkt im Kampf gegen Terrorismus eingesetzt werden müssen. Die vier mutmaßlichen Selbstmord-Attentäter von London stammen aus muslimischen Familien aus der Region um Leeds. Auf ihre Spur kam die britische Polizei durch Bilder einer Überwachungskamera, die zeigen, wie die Gruppe am Donnerstag vergangener Woche um 8.30 Uhr mit dem Zug im Bahnhof King's Cross in London ankam. Nach dem schnellen Fahndungserfolg von Scotland Yard wird auch in Deutschland heftig debattiert, ob künftig nicht stärker auf Video-Überwachung gesetzt werden muss. Die Zahl der Videokameras, die Bahnhöfe, Straßen, Plätze und Innenräume von Behörden oder auch privaten Institutionen wie Banken und Tankstellen beobachten, wird in Großbritannien auf über zwei Millionen geschätzt, davon 500 000 allein in der 7,3-Millionen-Stadt London. In Deutschland sind nur etwa 300 000 Kameras installiert. Spätestens seit der irakische Premier Ijad Allawi im Dezember vergangenen Jahres in Berlin von drei Landsleuten getötet werden sollte, gilt Deutschland unter Geheimdienstlern als "heißes" Operationsgebiet von Terroristen. Die Fahnder vom Bundesnachrichtendienst sind sich zudem sicher, dass mehrere islamistische Mudschaheddin-Kämpfer in Deutschland leben, vor allem in Berlin. Sie seien jederzeit bereit loszuschlagen. August Hanning, Präsident des Bundesnachrichtendienstes: "Das ist kein Spuk, der schnell vorbei ist." Diese Bedrohungskulisse und die Perspektive, dass im kommenden Jahr die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland ausgetragen wird, macht Politiker quer durch alle Parteien nervös. Der niedersächsische CDU-Innenminister Uwe Schünemann sagte in einem Interview, Videoüberwachungskameras sollten nicht nur in den Stadien eingesetzt werden, sondern auch dort, wo die Gefahr wahrscheinlich am größten sei, "in den Innenstädten, wo die Großbildleinwände aufgebaut werden". Während führende Grüne und Liberale dies kritisch sehen, äußerte sich Günther Beckstein ähnlich wie Schünemann. Der bayerische Innenminister ist überzeugt davon, dass Videokameras die Sicherheit deutlich erhöhen. "Daher brauchen wir mehr Videoüberwachung in Angsträumen und an gefährlichen Orten." Dies gelte ganz besonders mit Blick auf die Fußball-WM. Dieter Wiefelspütz, Sicherheitsexperte der SPD, erklärte gegenüber unserer Zeitung: "Wir verfolgen mit großer Aufmerksamkeit die beeindruckende Art, wie man in England die Terror-Tat aufklärt. Entwickelte Video-Sicherheitstechnik sollte auch hierzulande punktuell stärker, dabei aber verantwortbar eingesetzt werden. Da sind aber vor allem die Länder-Innenminister gefordert." In der Bundeshauptstadt, wo im Olympia-Stadion neben Gruppenspielen auch das WM-Endspiel ausgetragen wird, diskutiert man nicht länger, sondern handelt bereits. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wollen jetzt zügig die Videoüberwachung ihrer U-Bahnhöfe und Fahrzeuge ausweiten. Sie planen, deutlich mehr Kameras zu installieren und alle Aufnahmen 72 Stunden lang zu speichern, statt sie wie bisher nach 24 Stunden zu löschen. Der rot-grüne Senat, der die Hauptstadt regiert, wertet das positiv. Wie erfolgreich Videoüberwachung generell sein kann, belegte gestern die Sprecherin von Innenminister Otto Schily: Seit Oktober 2003 seien an Bahnhöfen in Deutschland 122 Videokameras eingerichtet. Innerhalb eines Jahres seien dadurch 703 Straftaten auf Bahnhöfen und Haltestellen festgestellt worden. 546 Tatverdächtige seien festgenommen worden, ganze 411 Straftaten konnten dank Videokameras aufgeklärt werden.

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