Untergang im Hauptstadt-Haifischbecken

Das Scheitern von Kurt Beck als SPD-Parteichef hängt maßgeblich mit den unterschiedlichen Politik-Stilen in Mainz und Berlin zusammen. Dem Landespolitiker gelang es nicht, seine Erfolgsrezepte auf Bundesebene zu übertragen.

Mainz. Wer beim Pressefest des Ministerpräsidenten vor zehn Tagen im repräsentativen Gästehaus des Landes genau hinschaute, konnte ahnen, in welchem Gemütszustand sich Kurt Beck befand. Der SPD-Chef wanderte sichtlich angeschlagen durch die Reihen der rheinland-pfälzischen Getreuen und schimpfte über "die da in Berlin", die "überhaupt nichts verstehen". Als ein zum Rahmenprogramm gehörender Künstler auf der Bühne vom Publikum ignoriert wurde, echauffierte sich Beck minutenlang über die "Ungehörigkeit, dem, der da oben steht und sich bemüht, einfach nicht zuzuhören". Man brauchte kein Tiefenpsychologe zu sein, um zu erkennen, dass er ein Stück weit von sich selbst sprach.

Was für ein Kontrast zu früheren Jahren! Da pflegte der Landesherr stolz und jovial sein Terrain abzuschreiten und mit freundlicher Hemdsärmeligkeit die ihm fast ausnahmslos namentlich bekannte Medien-Armada zu begrüßen. Ein Souverän, umgeben von einer durchaus selbstbewussten, aber uneingeschränkt loyalen Minister-Riege. Und gut in Szene gesetzt von unauffällig-effizienten Strippenziehern wie seinem Amts-Chef Martin Stadelmaier und dem unkonventionell-gewitzten Pressesprecher Walter Schumacher.

Becks selbst in der Krise am heimischen Herd funktionierendes Erfolgsrezept hat etwas mit einem familiären Verständnis von Macht zu tun. Der Chef als liberaler Patriarch, der seinem Anhang freien Lauf lässt, so lange er nicht über die Stränge schlägt. Loyalität gegen Loyalität. Pflichtbewusstsein gegen Solidarität. Einhalten von gewissen Grundregeln der Fairness im Umgang mit Außenstehenden und Gegnern. Und ein auf gegenseitiger Achtung beruhendes Geben und Nehmen im Verhältnis zu Geschäftspartnern wie der Presse.

Nach Berlin hat er nie gewollt. Es war das Pflichtbewusstsein des Parteisoldaten, dass ihn den SPD-Vorsitz übernehmen ließ, nachdem Müntefering aus nicht besonders bedeutsamem Anlass den Bettel hingeschmissen hatte und sein Nachfolger Platzeck seine Gesundheit nicht für das Amt aufs Spiel setzen wollte. Aber die im Gegenzug erwartete Solidarität gab es bei der Bundes-SPD nicht. Stattdessen Querschüsse. Becks "Geben und Nehmen" wurde hier als Schwäche und Einladung zu Eigenbrödelei empfunden. Parallel dazu wich die anfängliche Freundlichkeit der Medienlandschaft gegenüber dem Quereinsteiger aus der Pfalz einer zunehmend herablassenden Betrachtung des nicht immer geschickt agierenden "Provinz-Fürsten".

Anfangs wollte Beck offensichtlich mit den Gesetzen des Berliner Betriebes offensiv umgehen. Er nahm sogar ab, gab sich sportlich und fit, suchte Gesprächs-Kontakte. Aber der Mainzer Konsens ließ sich nicht herstellen. Im gnadenlosen Hauptstadt-Haifischbecken fanden sich immer schneller und immer öfter die Stichwort-Geber aus dem Willy-Brandt-Haus und die Trüffelsucher unter den Journalisten. Beck, solches nicht gewöhnt, reagierte mit Verunsicherung und Rückzug. Sein Mainzer Küchenkabinett verfügte über keine entscheidenden Verbindungen nach Berlin, die ihn hätten retten können.

Irgendwann verließ ihn angesichts des Drucks sein sonst so sicherer Instinkt für Timing. Die Kehrtwende in Sachen Linkspartei, von Beck sicher nicht aus Neigung, sondern aus purer Einsicht in die politische Notwendigkeit vollzogen, kam in falscher Form und zum falschen Zeitpunkt. Und danach wurde die Unterstützung aus der Parteispitze fast spürbar immer dünner.

Pflichtmensch Beck wäre trotz allem wohl nicht von der Fahne gegangen, hätte man ihm eine Chance gelassen, ohne Gesichtsverlust dabei zu bleiben. "Pälzer" sind zwar langmütig, aber wenn sie das Gefühl haben, dass man sie zum Affen macht, können sie auch mal platzen. Bei Kurt Beck scheint diese Schwelle am Wochenende erreicht worden zu sein. Fragt sich, wie leicht er mit dieser Niederlage im Gepäck die alte Souveränität im heimischen Stall wieder erreicht.

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