Verdrängen hilft nicht

Orkanartig erheben die Gutmenschen im Lande beim Thema Jugendstrafrecht ihre Stimme. Sie beschimpfen den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch als gnadenlosen Populisten, Menschenverächter und wahlkämpfenden Stammtischkrieger.

Es ist die übliche Leier, und es ist das leider bestens geübte Verfahren. Der Überbringer der bösen Botschaft wird diffamiert in der Hoffnung, das ungeliebte Thema damit gleich mit plattzumachen. Nun kann man Roland Koch ja durchaus vorwerfen, er versuche, seine politische Haut wieder einmal auf dem Rücken von Minderheiten zu retten. Man kann all seine Vorschläge aus vielerlei guten und weniger guten Gründen in Bausch und Bogen verdammen, sie für unbrauchbar oder nutzlos halten. Das ändert allerdings nichts an den verheerenden Fakten zum Thema Jugendkriminalität. Es gibt in diesem Land Zehntausende junger Leute, die mehr als fünf schwere Straftaten auf dem Kerbholz haben. Allein in Berlin stieg die Zahl der Mehrfachgewalttäter unter 21 binnen Jahresfrist um 20 Prozent auf weit über 2000. Berlin ist sicher nicht Bitburg, Berchtesgaden oder Buxtehude, aber das Problem existiert überall, nicht nur in der Hauptstadt oder anderen Großstädten.Wer vor diesem Hintergrund der Bevölkerung weismachen will, es sei alles in bester Ordnung, die strafrechtlichen und erzieherischen Werkzeuge funktionierten bestens, wie das der rheinland-pfälzische Justizminister Bamberger gestern versucht hat, der ignoriert entweder die Fakten oder gaukelt bewusst, um ein ungeliebtes politisches Thema möglichst schnell beerdigen zu können. Was macht diese Gesellschaft mit all jenen, die sich weigern, die elementarsten Regeln menschlichen Zusammenlebens zu akzeptieren, nämlich die körperliche Unversehrtheit und die Eigentumsrechte der Anderen?Das ist die Gretchenfrage, um die es geht, und auf diese Frage ist die Politik den Menschen in diesem Lande eine überzeugende Antwort schuldig. Was Heinz Georg Bamberger gestern dazu verlauten ließ, ist jedenfalls kein Anlass zur Beruhigung. Schon allein deshalb nicht, weil so getan wird, als hätten wir alles im Griff. Das haben wir eben nicht, hier nicht und anderswo auch nicht. Und daran wird sich nichts ändern lassen, solange die maßgeblichen Leute in diesem Land das immer größer werdende Problem verdrängen, statt nach Auswegen zu suchen. Diese können nicht darin bestehen, Roland Koch zu beschimpfen und ansonsten weiterzumachen, als gebe es keine oder kaum Opfer brutaler jugendlicher Gewalt in diesem Lande. d.schwickerath@volksfreund.de

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