Verständnis für Missverständnisse
BERLIN. Nach tagelangem Koalitionsstreit haben sich SPD und Grüne auf eine gemeinsame Marschroute bis zur angestrebten Bundestags-Neuwahl im Herbst verständigt.
Nach den schlimmen Tagen des politischen Tohuwabohus schlugen SPD und Grüne gestern demonstrativ versöhnliche Töne an. "Wir haben uns darauf verständigt, dass wir uns missverstanden haben", flötete Obergenosse Franz Müntefering nach einer gut einstündigen Sitzung des Koalitionsausschusses in die Kameras. Und auch Grünen-Chefin Claudia Roth empfand das Krisentreffen als sehr erquicklich: "Damit sind die Irritationen aus dem Weg geräumt." Offenbar dämmert den beteiligten Seiten, dass die verbleibenden vier Kalenderwochen bis zum inszenierten Kanzlersturz besser in geordneten Bahnen ablaufen sollten, statt im Chaos zu versinken. Für ihre politische Restlaufzeit haben die Koalitionäre deshalb nicht nur einen parlamentarischen Fahrplan vereinbart, sondern auch den Konflikt über die Vertrauensfrage mit einem Kompromiss geglättet. Danach kann der Bundeskanzler die Einzelheiten über den konkreten Weg zu Neuwahlen bis zum 1. Juli weiter unter Verschluss halten. Ursprünglich wollten die Grünen hier schnell Klarheit. Im Gegenzug solle aber Grünen-Vizekanzler Joschka Fischer "rechtzeitig" in Schröders Vertrauen gezogen werden. Noch am Tag zuvor hatte der Kanzler wissen lassen, dass er lediglich Franz Müntefering über Details der Vertrauensfrage ins Bild setzen wolle. Nicht alle in der Grünen-Fraktion sind von dieser Lösung angetan. "Das Verfahren bleibt unbefriedigend, weil es für die Parlamentarier nebulös ist", sagte der Parteilinke Winfried Hermann unserer Zeitung. Der Kanzler habe sich nicht allein gewählt. Insofern könne auch die Vertrauensfrage nicht seine alleinige Entscheidung sein. "Ich erwarte, dass dabei auch die Fraktionsführungen eingebunden werden", so Hermann. Im Mittelpunkt der noch abzuarbeitenden Gesetze soll die Unternehmensteuerreform stehen. Bereits für den morgigen Donnerstag ist dazu eine erste Lesung im Bundestag angesetzt. Dieser Schritt mutet überraschend an, denn gerade an der Senkung der Körperschaftssteuer und den Untiefen ihrer Gegenfinanzierung hatte sich der jüngste Koalitionskrach entzündet. Der Konflikt schwelt bereits seit Wochen, weshalb der Gesetzentwurf schon Mitte Mai von der parlamentarischen Tagesordnung genommen wurde. Müntefering ließ auch gestern massive Zweifel bei der Realisierung erkennen. "Der Streit wird weitergehen, und ich weiß nicht, ob man ihn auflösen kann", prognostizierte der SPD-Chef. Keine "Steilvorlage" für die Union
Seine grüne Amtskollegin Roth machte ebenfalls Nachbesserungsbedarf geltend. Also warum dann das ganze Theater? Regierungskreisen zufolge will man der Union keine "Steilvorlage" bieten. Schließlich geht die Unternehmenssteuerreform auf den Job-Gipfel mit der Opposition vom 17. März zurück. Würde sich die Regierung davon stehlen, könnten Merkel & Co über deren Handlungsunfähigkeit triumphieren. Hinzu kommt, dass auch die unionsregierten Bundesländer große Probleme bei der Gegenfinanzierung sehen. Aus rot-grüner Sicht ließe sich der Bundesrat so noch einmal als Blockade-Instrument vorführen - der Wahlkampf lässt grüßen. Das geplante Fluglärmgesetz und die ebenfalls koalitionsintern umstrittene Beschleunigung der Verkehrswegeplanung werden dagegen nicht mehr ins Parlament eingebracht.