Viel Spott, viel Ehr

BERLIN. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und seine Unions-Herausforderin Angela Merkel haben sich in der letzten Bundestagsitzung vor der Wahl gegenseitig Lügen und Versagen vorgeworfen. Vor allem die hohe Arbeitslosigkeit und die Energiepolitik waren zentrale Themen der sehr emotional geführten Debatte.

Gerhard Schröder zeigt seiner Herausforderin demonstrativ die kalte Schulter. Die Unionsfraktion ist so eben im Reichstag jubelnd aus den Stühlen gesprungen, als Angela Merkel zum Ende ihrer Rede ihre Kanzlerschaft mit den Worten ankündigt: "Ich freue mich darauf." Nach diesem siegesgewissen Satz würdigt der noch amtierende Regierungschef seiner selbst ernannten Nachfolgerin keines Blickes mehr.Schröder setzt sich lieber in aller Ruhe die Brille auf, um schnell ein paar Autogramme in einige Bücher zu schreiben, die ihm von einem Parteifreund aufs Pult gelegt worden sind. Joschka Fischer neben ihm hält es anders: Der grüne Außenminister grinst genervt und schüttelt mit dem Kopf, während Merkel wieder auf dem Stuhl der Oppositionsführerin Platz nimmt; als er aber später über gentechnisch veränderte Lebensmittel spricht, rutscht ihm heraus: "Selbst die Kanzlerin klatscht."

Ob ironisch gemeint oder nicht, Union und FDP lachen sich lautstark ins Fäustchen. Auch Innenminister Otto Schily, der rechts von Fischer auf der Regierungsbank sitzt, zetert vor sich hin; er kneift nach Merkels Rede die Augen zu Schlitzen zusammen und blickt verknittert auf die Kandidatin, als ob er sagen wollte, das war und das wird nichts, Mädel, wetten?

Es ist Wahlkampf, Schily muss so gucken, und er guckt ohnehin gerne so. Weshalb man seinen Gesichtsausdruck nicht zum Maß aller Dinge erheben sollte. Denn die Herausforderin hat sich beim letzten parlamentarischen Showdown vor der Bundestagswahl am 18. September mit dem Kanzler eine leidenschaftliche Debatte geliefert.

Merkel glänzt argumentierend - Schröder, der schon seit Wochen wie gedopt wirkt, glänzt attackierend. Die letzte Sitzung des Bundestages in dieser Wahlperiode ist so etwas wie eine Neuauflage des Fernsehduells vom Sonntag, auch wenn im Parlament andere Spielregeln gelten. Nach der Debatte wird im Reichstag aber schnell wieder die alles überlagernde Frage gestellt: Wer hat gewonnen, Schröder oder Merkel?

In der Lobby, dem Marktplatz für Stimmungen und Meinungen, herrscht anders als sonst diesmal kein dichtes Gedränge; dort, wo schon mal ein offenes, weil kritisches Wort gepflegt wird, halten sich die Parteigänger so kurz vor der Wahl lieber bewusst zurück. Wer dennoch etwas sagt, der sagt es nur lobend.

Und es stimmt: Der Schlagabtausch der großen Zwei hat tatsächlich Qualität gehabt. Jeder punktet auf seine persönliche Weise. Der Niedersachse steigt wie üblich zuerst in den Ring. Ihn hat diesmal mit spitzer Zunge die Angriffslust gepackt, er spannt den großen Bogen von der Naturkatastrophe in den USA über die Öl- und Benzinpreise hin zu seiner Reformpolitik. Es ist eine bilanzierende, staatsmännische Rede, die freilich perspektivisch nur wenig aufzeigt.

"Was sie anbieten, ist die Rolle rückwärts", attackiert er Merkel direkt. Allein der Plan der Union, die Ökosteuer um drei Cent zu vermindern, sei "eine Milchmädchenrechnung", ruft Schröder - aus der SPD-Fraktion höhnt es "Merkel-Rechnung". Auch den Steuerfachmann Paul Kirchhof knöpfte sich der Kanzler erneut vor. "Tun Sie nicht so, als gäbe es ihn gar nicht mehr", ruft er Merkel zu. "Ihr Professor aus Heidelberg", ärgert er die Kandidatin wieder einmal. "Geben Sie diesen Quatsch auf." Sieben Jahre Rot-Grün seien gute Jahre für das Land gewesen, resümiert der Kanzler.

Vor wenigen Wochen noch mussten Rote und Grüne ihm das Vertrauen entziehen - jetzt sind die Koalitionsfraktionen begeistert von ihrem Frontmann. Die Atmosphäre im Bundestag ist spannungsgeladen, es gibt ungewöhnlich viele Zwischenrufe, es wird gespottet und gehöhnt. Man schenkt sich nichts.

Auch Angela Merkel zeigt sich angriffslustig, die Ungereimtheiten im Unionsprogramm übergeht sie allerdings geflissentlich: Der Kanzler sei "an sich selbst gescheitert, an seiner Partei und an seiner Wahrnehmung der Realität", urteilt sie. Schröder habe weder Konzepte, noch Unterstützung der SPD. "Deshalb sind Sie Vergangenheit, Herr Bundeskanzler", ruft sie unter tosendem Applaus. Merkel erweckte dabei durchaus den Eindruck, als ob für sie die Wahl bereits gelaufen ist.

Nach ihrer Rede deutet von der Bundesratsbank sogar der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber ein wenig verzückt Applaus an.

"Gehört haben wir eine Regierungserklärung von Angela Merkel und eine Abschiedsrede von Gerhard Schröder", fasst FDP-Chef Guido Westerwelle die Debatte zusammen. Dem entgegnet Joschka Fischer: "Ich hoffe am 18. September auf lange Gesichter bei Ihnen und auf fröhliche bei uns."

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