"Viele Abgeordnete haben zu Recht Bedenken"

Berlin · Der Bundestag stimmt heute über das zweite Rettungspaket für Griechenland ab. Dabei wird längst schon über die Notwendigkeit weiterer Hilfsmaßnahmen spekuliert. FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms äußert sich im TV-Interview dazu.

Berlin. Eine Diskussion über weitere Hilfsmaßnahmen für Griechenland hält der Finanzexperte der FDP, Hermann Otto Solms, für gefährlich. Unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter sprach mit ihm.
Herr Solms, als der Bundestag vor zwei Jahren über das erste Hilfspaket abstimmte, haben Sie mit Enthaltung votiert. Was machen sie jetzt?
Solms: Nach den vielen Bedingungen, die die EU für die Freigabe der Hilfen an Griechenland gestellt hat, werde ich dem Hilfspaket zustimmen. Die jeweiligen Auszahlungen sind an strikte Auflagen geknüpft. Das stimmt mich hoffnungsvoll.
Nun beklagen auch Koalitionsabgeordnete, dass es keine verlässlichen Aussagen zur ökonomischen Entwicklung Griechenlands gebe. Kann man dem Hilfspaket wirklich ruhigen Gewissens zustimmen?
Solms: Ich gehe davon aus, dass das Hilfspaket eine eigene Mehrheit der Koalition erhält. Aber die Bedenken vieler Parlamentarier sind nicht unberechtigt. Umso mehr muss die Bundesregierung Druck machen, dass die Strukturreformen in Griechenland endlich in Gang kommen. Nur so kann Athen dem Eindruck entgegenwirken, dass das Land ein Fass ohne Boden ist.
Die Skepsis reicht aber bis in die Bundesregierung hinein. Innenminister Friedrich hat den Griechen einen Austritt aus der Euro-Zone nah gelegt.
Solms: Mit diesem Vorschlag kommt Friedrich reichlich spät. Beim ersten Griechenland-Paket wäre das noch sinnvoll gewesen. Jetzt sind wir mitten auf dem Weg, die Griechen innerhalb des Euro-Raums zu stabilisieren. Es ist immer schlecht, in so einer Situation das Ruder herumzureißen und die Strategie zu ändern. Das würde noch mehr Misstrauen an den Märkten auslösen.
Schon vor der Abstimmung über das zweite Hilfspakt wurde bereits über ein drittes spekuliert. Irritiert Sie das?
Solms: Ich habe mich über die Äußerungen von Bundesfinanzminister Schäuble sehr gewundert. Denn das bedeutet, dass er kein ausreichendes Zutrauen zu dem hat, was er selbst mitverhandelt hat.
Wäre ein drittes Hilfspaket im Bundestag überhaupt durchsetzbar?
Solms: Ich halte die Diskussion darüber für ausgesprochen gefährlich, weil sie suggeriert, dass wir mit dem zweiten Hilfspaket nur Stückwerk leisten. Ich meine, dass es mit diesem zweiten Hilfsprogramm sein Bewenden haben muss. Eine weitere Unterstützung dürfte für die meisten Bundestagsabgeordneten schwer vorstellbar sein.
Griechenland steht heute ökonomisch schlechter da als vor den Sparauflagen der EU. Wäre da nicht endlich ein Investitionsprogramm geboten?
Solms: Nein. Es geht darum, die Rahmenbedingungen für Investitionen drastisch zu verbessern, um damit automatisch einen Investitionsschub auszulösen. Nur so kann Griechenland für ausländische Investoren wieder attraktiv werden. Mit Sparen allein ist das Problem nicht zu lösen. Aber auf das Sparen darf auch nicht verzichtet werden.
Extra

Der Bundestag stimmt heute über das zweite Griechenland-Rettungspaket ab. Das neue Hilfsprogramm bis Ende 2014 umfasst bis zu 130 Milliarden Euro, die der Euro-Rettungsschirm EFSF in mehreren Tranchen auszahlen soll. Hinzu kommen 24,4 Milliarden Euro, die aus dem ersten Hilfsprogramm für Griechenland vom Mai 2010 nicht ausgeschöpft wurden. Nachfolgend Teile des zweiten Griechenland-Pakets: Privatsektor: Die privaten Geldgeber - Banken, Versicherer oder Fonds - sollen auf mehr als die Hälfte ihrer Rückzahlungsansprüche verzichten durch einen freiwilligen Schuldenschnitt von 53,3 Prozent. Zudem erhalten sie niedrigere Zinsen für neue, länger laufende Anleihen (zwischen 2 und 4,3 Prozent). Das soll die Schulden um etwa 107 Milliarden Euro drücken. Für die nach dem Schuldenerlass verbleibenden Hellas-Anleihen erhalten Privatgläubiger Schuldtitel des EFSF und neue Anleihen Athens. Die Hilfen für den Tausch sollen erst fließen, wenn eine umfassende Teilnahme der Gläubiger gesichert ist. Die Beteiligung soll Ende der zweiten Märzwoche feststehen. Öffentlicher Sektor: Die Euro-Länder stellen bis zu 30 Milliarden Euro bereit, um einen Anreiz für den Anleihetausch zu schaffen. Im Rahmen des Umtauschs müssen bis dahin aufgelaufene Zinsansprüche der Gläubiger getilgt werden. Dafür sind 5,5 Milliarden Euro vorgesehen. Die somit bis zu 35,5 Milliarden Euro fließen erst zum Ende der Umtauschphase und nach Freigabe durch die Euro-Gruppe. Auch muss Athen bis dahin "vordringliche Maßnahmen" erfüllt haben. Bis zu 35 Milliarden Euro werden vorübergehend bereitgestellt, um die Europäische Zentralbank (EZB) vor möglichen Verlusten im Zuge der Umschuldung abzusichern. Das Geld steht nur zeitweise bereit und erhöht nicht das Gesamtvolumen des zweiten Rettungsprogramms. Die Euro-Länder senken die Zinsen aus dem ersten Hilfsprogramm. Als Kompensation dafür schüttet die EZB Gewinne an die Nationalbanken aus, die ihr aus einer vollständigen Bedienung der von ihr erworbenen griechischen Anleihen entstehen. Auch die Nationalbanken sollen Gewinne aus Hellas-Anleihen zum Schuldenabbau Athens nutzen. IWF: Der Anteil des Weltwährungsfonds an den Notdarlehen von bis zu 94,5 Milliarden ist noch offen. Darüber will der IWF Mitte März entscheiden. An den bisherigen Euro-Hilfen beteiligte er sich zu je einem Drittel. In Aussicht gestellt wurden zuletzt zehn Milliarden aus dem ersten Athen-Paket sowie 13 Milliarden Euro für das zweite Programm. Bedingungen: 23 Milliarden Euro sollen im Zuge des Schuldenschnitts für die Stabilisierung des griechischen Bankensystems bereits jetzt - parallel zum Anleihetausch - fließen. Vor der ersten Zahlung muss Athen die Liste der "vordringlichen Maßnahmen" abarbeiten, und die Umschuldung muss erfolgreich sein. Eine Schuldentragfähigkeitsanalyse muss zudem bestätigen, dass Griechenland im Jahr 2020 einen Schuldenstand von "nahe" 120 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen kann. dpaExtra

Hermann Otto Solms, Jahrgang 1940, verheiratet, drei Kinder, ist Vizepräsident des Deutschen Bundestages und seit September 2004 Bundesschatzmeister der FDP. wie

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