"Viele Kardinäle wollen keinen Italiener"

An diesem Dienstag startet das von den weltweit 1,2 Milliarden Katholiken mit Spannung erwartete Konklave. "Es wird nicht lange dauern, bis der neue Papst gewählt ist", meint Vatikanexpertin Crista Kramer von Reisswitz. Mit ihr sprach TV-Redakteur Rolf Seydewitz.

Ihr Tipp, wie lange wird es dauern, bis der neue Papst gewählt ist?
Crista Kramer von Reisswitz:
Ich gehe davon aus, dass es schon am Mittwochnachmittag feststehen könnte. Das Konklave beginnt heute um 10 Uhr mit einer großen Messe. Am späten Nachmittag ist dann in der Sixtinischen Kapelle der erste Wahlgang. Danach wird dann zum ersten Mal - wahrscheinlich dunkler - Rauch aufsteigen.
Warum wird es Ihrer Einschätzung nach auch dieses Mal so schnell gehen?
Kramer von Reisswitz:
Beim ersten Wahlgang bekommt noch jeder verdiente Kardinal Stimmen, auch wenn der Betreffende nicht "papabil" ist, also für das Papstamt als geeignet gilt. Danach wird sich allerdings schnell herauskristallisieren, wer der Favorit ist.
Welcher der hoch gehandelten Kandidaten hat die besten Karten?
Kramer von Reisswitz:
Schwer zu sagen. Beim Vorkonklave ist es schon zur Sache gegangen, wie zu hören ist. Die ausländischen Kardinäle sind sehr verärgert darüber, dass die Kurienkardinäle zuletzt kein gutes Bild abgegeben haben. Und sie wollen deshalb einen nichtitalienischen Papst. Anders die Kurie: Sie würde am liebsten einen italienischen Papst haben. Oder einen Lateinamerikaner, den sie wie eine Marionette hin- und herschieben könnte.
Was ist Ihre persönliche Einschätzung?
Kramer von Reisswitz:
Es sieht derzeit so aus, als hätten die beiden amerikanischen Kardinäle Timothy Michael Dolan und Sean Patrick O\'Malley sehr gute Karten. Dolan, der Erzbischof von New York, ist ein sehr lebhafter Mensch. Als er bei seinem Abflug nach Rom gefragt wurde, wie denn der neue Papst sein solle, hat er geantwortet: wie Jesus Christus. Und Spekulationen über ihn als möglichen Papst-Nachfolger entgegnete er mit den Worten: "Wer so etwas sagt, hat Marihuana geraucht." Dolan zeichnet aus, dass er Durchsetzungsvermögen hat. Vor ihm hat die Kurie Manschetten.
Gilt das auch für O\'Malley?
Kramer von Reisswitz:
Der Erzbischof von Boston hat mit den Altlasten seines Vorgängers aufgeräumt und reinen Tisch gemacht. Alle Priester, die nur in Verdacht standen, etwas mit Pädophilie zu tun zu haben, hat er knallhart abserviert. Um die Gelder für die Entschädigung zu zahlen, hat Sean Patrick O\'Malley seinen Bischofssitz verkaufen müssen. O\'Malley sieht übrigens aus wie Pater Pio, was den Italienern gefallen dürfte. Und er hat den Vorteil, perfekt Spanisch zu sprechen. Das macht ihn bei den Hispanos beliebt.
Was unterscheidet dieses Konklave von der Vorgängerwahl?
Kramer von Reisswitz:
Der Hauptunterschied zu damals ist, dass der Vorgänger von Benedikt XVI. im Amt gestorben ist. Und es gab beim letzten Konklave 2005 die vorausgegangenen neun Tage Begräbnisfeierlichkeiten, bei denen die Kardinäle untereinander die Möglichkeit hatten, sich kennenzulernen. Weil es keinen toten Papst zu betrauern gibt, ist die Atmosphäre dieses Mal viel nüchterner.
Gibt es für Sie als Vatikanjournalistin überhaupt Möglichkeiten, während eines laufenden Konklaves an Informationen von den Kardinälen heranzukommen?
Kramer von Reisswitz:
Viele deutschsprachige Vatikanjournalisten klüngeln zusammen. Da kommt aber nicht viel dabei herum. Die besten Informationen und auch das Gefühl, was hinter den Kulissen abgeht, bekommt man von Kollegen, die einzelne Kardinäle sehr gut kennen. Das sind häufig Kollegen aus Italien und Lateinamerika. Die vielen kleinen Informationen setzt man dann zusammen, und daraus ergibt sich dann ein Bild. Bei den deutschen Kardinälen weiß man ja, auf welche Seite sie sich schlagen werden: Meisner und Woelki eher auf die konservative Seite, Lehmann, Kasper und Marx vermutlich eher auf die liberale.

Heißt aber auch, dass es bis zum Schluss spannend bleibt?
Kramer von Reisswitz:
Ja. Auch deshalb, weil kaum ein Block geschlossen seine Stimmen abgibt. Dadurch sind viele Unwägbarkeiten in das Konklave miteingebaut. Zum ersten Mal ist es etwa denkbar, dass die Lateinamerikaner einen US-Amerikaner wählen. In der Vergangenheit haben sie dies wegen der Kolonialmacht-Vergangenheit nicht getan. Wegen der Vatileaks-Affäre ist dies anders. Da sind viele sauer auf die italienischen Kurienkardinäle. Deshalb sind die Chancen gut für einen ausländischen Kandidaten, der seine Hände nicht in der Marmelade hat. sey
Extra

Crista Kramer von Reisswitz berichtet seit über 30 Jahren als Vatikan-Korrespondetin für deutschsprachige Medien aus Rom. Sie hat bereits mehrere Bücher über den Vatikan veröffentlicht. Ihr neuestes Buch "Der Gottesstaat in Rom - Macht und Ohnmacht im Vatikan" erscheint im Herbst im Züricher Orell Füssli Verlag. sey

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort