Vom Propheten zum P ragmatiker

Die Erinnerungen an die Jubel-Szenen sind längst verblasst. Die von Euphorie aufgepeitschten Massen im Grant Park von Chicago, die sich in der Wahlnacht von Glück berauscht in den Armen lagen. Die in alle Welt übertragene Zeremonie der Amtseinführung vor dem Kapitol, zu der am 20. Januar 2009 Hunderttausende gekommen waren, um die ersten Minuten eines jungen farbigen Präsidenten zu erleben, der - so die Erwartungen - Washington umkrempeln.

Washington. Barack Obama, heute ein Jahr im Amt, hatte zu diesen kaum mehr steigerbaren Erwartungen beigetragen - indem er sie nicht dämpfte und sogar einst mit einem Hauch von Überheblichkeit verkündete: "Wir sind die, auf die wir gewartet haben". Und so durften die Liberalen in Amerika und die Europäer nach acht Jahren träumen: Von einem Politiker, der Kriege nicht als bevorzugtes Mittel zur Konfliktlösung und seiner Antiterror-Politik einsetzt. Der die Vereinten Nationen nicht als Debattierklub abstempelt und ignoriert. Der das Klima und die Bürgerrechte schützt, den Nahen Osten befriedet, Teheran die Atombombe versagt, eine Krankenversicherung für alle schafft und die Wirtschaft aus der Rezession schiebt. Der Wunschzettel war grenzenlos.

Zwölf Monate später ist aus dem angebeteten Propheten des Wandels ein ganz gewöhnlicher Politiker geworden, der sich dem Pragmatismus des Machbaren hingibt, dessen wirkliche Überzeugung auf vielen Feldern weiter seltsam unscharf bleiben und dessen Superman-Aura in den Schlachten des Alltags langsam zerbröckelt ist.

Den Traum vom "healing process" in Washington, dem Überbrücken der Gräben zwischen Demokraten und Republikanern, hat Obama längst aufgegeben. So wird sein wichtigstes innenpolitisches Projekt, die Gesundheitsreform, von den Konservativen des Landes als Wegmarke zum Sozialismus verteufelt und von verfassungsrechtlichen Zweifeln begleitet. Ein staatliches Versicherungsangebot, wie es in Deutschland die gesetzlichen Kassen darstellen, wird es zudem nicht geben - der Realist Obama hat hier die Grenzen des Möglichen auch in der eigenen Partei erkannt.

"Er regiert wie ein gewöhnlicher Liberaler, der an das existierende System glaubt und weiß, wie er es nutzen kann", charakterisierte kürzlich die ihm wohlwollend gegenüber stehende "New York Times" den Stil des Präsidenten. Der hatte im Wahlkampf noch verkündet: Der Washingtoner Klüngel der Hinterzimmer-Deals und ideologisch motivierten Politik müsse der Vergangenheit angehören.

Ungeduldige Öffentlichkeit erwartet schnelle Lösungen



Dieser Wandel und die damit verbundenen enttäuschten Hoffnungen spiegeln sich in den Umfragewerten wieder. Seine Zustimmungsquote liegt unter 50 Prozent - auch weil die chronisch ungeduldige amerikanische Öffentlichkeit schnelle Lösungen erwartet, aber Obama diese - wie das Beispiel Guantánamo oder das Milliarden-Beschäftigungsprogramm bestens unterstreichen - nicht über Nacht bieten kann.

Die Unzufriedenheit reicht bis in die eigene Partei, wo die Linke realisiert, dass umwälzende Veränderungen bisher ausgeblieben sind. Doch an Warnungen vor übertriebenen Erwartungen hat es nicht gefehlt. "Die größte Fehleinschätzung über Barack Obama ist," schrieb schon im Sommer 2008 die Zeitschrift "New Yorker", "dass dieser ein Anti-Establishment-Revolutionär ist.

Dabei war jeder Schritt seiner Karriere vom Bemühen gekennzeichnet, sich an existierende Institutionen anzupassen, anstatt diese zu verändern oder niederzureißen." Für manche Liberale in den USA ist deshalb auch der Brückenschlag zwischen Obamas versprochenen Prinzipien und den jetzt erkennbaren Kompromissen zu groß. Gut deutlich wird dies in der China-Politik des Präsidenten. Als Kandidat drängte Obama den amtierenden Präsidenten George W. Bush zur Freude von Bürgerrechtlern hart, die Menschenrechtsverletzungen Pekings anzuprangern.

Doch seit dem Einzug ins Weiße Haus bevorzugt der Wahlsieger einen Schmusekurs: Er hofft auf Chinas Kooperation in den Konflikten mit dem Iran und Nordkorea und zeigte deshalb auch dem Dalai Lama die kalte Schulter. Es ist eine Strategie, die diplomatische Annäherung über alles stellt und dem politischen Gegner ausreichend Munition liefert. Und die dazu verleiten kann, selbst faule Kompromisse wie das enttäuschende Resultat des Kopenhagener Klimagipfels - eine Fülle unverbindlicher Absichtserklärungen - als Erfolg verkaufen zu wollen.

Begleitet wird die Zuwendung zur oft für die Obama-Fans ernüchternden Politik des Machbaren von einer seltsamen Unsicherheit des jungen Präsidenten, die schon seine demokratischen Vorwahl-Gegner wie die heutige Außenministerin Hillary Clinton im Wahlkampf prophezeit hatten. Sie sei bereit, von der ersten Minute an auch Krisen zu bewältigen, so die frühere Erzrivalin - er jedoch nicht.

Sowohl bei den blutig niedergeschlagenen Demonstrationen nach der Wahl im Iran wie auch dem nur knapp gescheiterten Terroranschlag vom Weihnachtstag zögerte Barack Obama lange, Klartext zu reden. Er wolle sich nicht in die inneren Angelegenheiten Teherans einmischen, hieß es anfänglich.

Und der Unterwäsche-Bomber war für ihn erst einmal ein "isolierter Einzeltäter". Mit Verspätung mahnte er das Mullah-Regime ab und erklärte den "Krieg gegen den Terror" für existent. Es sind Rauchsignale dafür, dass die Selbstfindungssuche des Hoffnungsträgers, der so ganz anders als alle anderen Politiker sein wollte, noch nicht abgeschlossen ist.

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