Vom Tiger zum Bettvorleger

BERLIN. Im Umgang mit Medien wird Bundeskanzler Gerhard Schröder nach Ansicht des Hamburger Kommunikationswissenschaftlers Siegfried Weischenberg seinem Vorgänger Helmut Kohl immer ähnlicher. Auch Schröder habe sich inzwischen in Empfindlichkeiten hinein gesteigert.

Herr Weischenberg, gibt es einen Automatismus, dass ein Kanzler irgendwann die Keule gegen die Medien schwingt?Weischenberg: Das kann man so sehen. Helmut Kohl war jemand, der sich mit den Medien stets schwer getan hat. Sein Argwohn verfestigte sich im Laufe der Jahre. Gerhard Schröder hat angefangen als großer Medientiger und ist als Medien-Bettvorleger gelandet. Wie Kohl hat auch er sich inzwischen in eine gewisse Empfindlichkeit hinein gesteigert. Wann hat sich das Verhältnis Schröder und Medien zum Negativen gewandelt? Weischenberg: Schon im ersten Jahr seiner Kanzlerschaft. Er trat als Medienkanzler an, hat aber die Rolle des Unterhaltungskanzlers gespielt. Dadurch begann die Sympathie langsam zu kippen. Das Verhältnis bewegte sich weiter auseinander, als Schröder mit seinen öffentlichen und juristischen Klagen immer wieder draufgehauen hat - Stichwort Haare, Eheprobleme, Bonusmeilen. Ein Teil des Problems ist allerdings auch, dass bei bestimmten Journalisten eine Reaktion aus enttäuschter Liebe vorliegt. Das heißt, es gab es im Wahlkampf Kampagnen-Journalismus?Weischenberg: Kampagne darf nicht so übersetzt werden, dass es einen Masterplan gibt. Medien verständigen sich oft augenzwinkernd durch Medienbeobachtung auf eine gemeinsame Linie. Die Bild-Zeitung schreibt etwas, und alle hecheln hinterher. Für Schröder war es im Wahlkampf besonders bitter, dass ihn eine Reihe von Blättern, die wie Stern oder Spiegel traditionell eher als linksliberal gelten, sehr kritisch begleitet hat. Schmerzhaft war zudem für die SPD, dass sie den Wahlkampf gegen eine Medienbarriere führen musste, die errichtet worden ist mit Hilfe von Umfragezahlen. Der Mainstream im Journalismus ist allerdings in der Tat zurzeit ein neoliberaler. Allerdings mussten auch die Medien erkennen, dass die Stimmung in der Bevölkerung anders ist - und sie sich von ihrem Publikum weit entfernt haben. Nun naht die Große Koalition. Was bedeutet diese Konstellation für die Rolle der Medien? Weischenberg: Eine Große Koalition führt erfahrungsgemäß zu großen Chancen für die Medien, für die so genannte vierte Gewalt. Da ist ein riesiger Machtblock der Politik, der überwiegende Teil der Abgeordneten gehört zu den Regierungsfraktionen, wie Ende der 60-er Jahre werden die Medien deshalb deutlich stärker die Rolle der außerparlamentarischen Opposition einnehmen. Welche Folge hat das für eine mögliche Kanzlerin Merkel?Weischenberg: Sie wird in einer Großen Koalition erhebliche Probleme mit den Medien bekommen, die sich ja noch stärker auf Kontrolle und Kritik ausrichten werden. Merkel hat ja ohnehin keine Einstellung zu den Medien. Das mag mit ihrer Sozialisation zu tun haben. Da ist Schröder weitaus souveräner. S Die Fragen stellte unser Korrespondent Hagen Strauß.

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