Von den hinteren Bänken ganz nach vorne

Seit ihn die Deutsche Bischofskonferenz zum Missbrauchsbeauftragten der katholischen Kirche ernannt hat, ist der Trie rer Bischof Stephan Ackermann (47) bundesweit bekannt. Am Montag vor einem Jahr wurde der gebürtige Mayener in sein Amt eingeführt. Von seinem Vorgänger Reinhard Marx hat sich Ackermann längst emanzipiert.

Trier. Als Dompropst Werner Rössel Anfang April vergangenen Jahres am Ende der traditionellen Chrisam-Messe endlich den Namen des neuen Trie rer Bischofs bekanntgibt, erheben sich die Gläubigen im voll besetzten Dom von ihren Plätzen, brandet minutenlanger Beifall auf. "Stephan Ackermann war unser Wunschkandidat", sagen viele, die den Priester schon länger kennen.

Dabei ist der damals 46-Jährige zu dieser Zeit vor allem den Katholiken im ehemaligen Regierungsbezirk Trier ein Begriff. Die Region zwischen Eifel, Mosel und Hunsrück ist sein Zuständigkeitsbereich als Weihbischof. Ackermann ist beliebt, weil er auf die Menschen zugeht und ihnen zuhört. Ein Kirchenmann zum Anfassen.

"Wir sind Bischof", haben denn auch mehr als 140 Messdiener auf ihre knallgelben T-Shirts drucken lassen, als Stephan Ackermann rund anderthalb Monate später in sein Amt eingeführt wird. Rund um den Dom herrscht Volksfeststimmung. Deutschlands ältestes Bistum bekommt - wie schon sieben Jahre zuvor - den jüngsten Diözesanbischof.

Jung und volksnah - zwei der wenigen Gemeinsamkeiten von Stephan Ackermann und seinem gewichtigen Vorgänger Reinhard Marx. Der raumgreifende Westfale hat in seiner Trie rer Zeit tiefe Fußspuren hinterlassen, war ständig auch in den überregionalen Medien präsent. Stephan Ackermann ist zwar in seinem Trierer Visitationsbezirk bekannt und beliebt, darüber hinaus aber für viele Gläubige ein eher unbeschriebenes Blatt.

Angst vor dem großen Schatten seines nach München beförderten Vorgängers hat er jedenfalls nicht: "Lassen Sie mich doch erst einmal anfangen! Und dann sollen die Leute beurteilen, was vielleicht besser ist bei Ackermann", sagt er damals selbstbewusst.

Ein knappes Jahr später ist Stephan Ackermann aus den hinteren Bänken der Bischofskonferenz ganz nach vorne gerutscht. Der Skandal um die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche bringt dem 47-Jährigen vor drei Monaten den Job des Sonderbeauftragten ein. Der Konkurrenzkampf unter den Bischöfen um dieses Amt dürfte sich in Grenzen gehalten haben. Allerdings hat sich Stephan Ackermann im Vorfeld des Bischofstreffens auch klar und unmissverständlich geäußert, während viele seiner Kollegen lieber schwiegen oder herumdrucksten.

Bei Illner top, bei Beckmann gefloppt



Seit der Ernennung hat Ackermanns Pressestelle mehr Medienanfragen zu bearbeiten als zu Marx-Zeiten. Jede Diskussionssendung im Fernsehen will den neuen Missbrauchsbeauftragten als Gast haben. Bei Maybrit Illner gibt der Trierer Bischof ein gutes Bild ab; bei Reinhold Beckmann vergaloppiert sich Ackermann, als er auf die Frage eines Opferanwalts nach Entschädigung antwortet, er sei nicht zuständig.

Reichlich Rückenwind bekam der Trierer Bischof bei seinem Amtsantritt, inzwischen aber bläst der Wind auch von vorn. Es liegt am heiklen Thema und an der bundesweiten Aufmerksamkeit. Zwar heimst der Sonderbeauftragte zunächst Lob ein, weil er nach seiner Ernennung nicht lange fackelt, sondern rasch ein eigenes Büro und eine (unerwartet stark nachgefragte) Opfer-Hotline einrichtet. Doch ausgerechnet beim Ökumenischen Kirchentag am vergangenen Wochenende erntet Stephan Ackermann bei einer Missbrauchsdiskussion reichlich Buhrufe und Pfiffe; weil er sagt, der Ruf nach kirchenpolitischen Reformen lasse die Opfer aus dem Blick geraten. Das kommt bei vielen Zuhörern so an, als müsse sich nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle einiges ändern, nur nichts an der Struktur der katholischen Kirche.

Wer Ackermann kennt, weiß, dass er genau das mit seiner umstrittenen Äußerung nicht sagen wollte. Man müsse "in der Kirche über alles ohne Angst vor Repressionen frei reden können", zitiert ihn tags drauf denn auch der "Spiegel". So spricht niemand, der will, dass über Pflichtzölibat oder Frauenpriestertum erst gar nicht diskutiert wird. Stephan Ackermann ist bestimmt kein Revoluzzer, das sagt der 47-Jährige übrigens auch selbst über sich. Aber er ist jemand, der keine Diskussion scheut und seine Meinung auch bei Gegenwind vertritt.

Sehnsucht nach der "Wir-sind-Bischof"-Zeit



Den derzeit heftigsten Konflikt trägt der 47-Jährige ausgerechnet mit seinem Vorgänger Reinhard Marx aus. Der Münchner Erzbischof hat Stephan Ackermann durch seine Ankündigung in Zugzwang gebracht, künftig bereits jeden Missbrauchsverdachtsfall anzuzeigen - unabhängig davon, ob das die Opfer wollen. Der katholische Sonderbeauftragte ist strikt dagegen.

Spannend wird sein, wie sich die Bischofskonferenz bei der bevorstehenden Neufassung ihrer Missbrauchslinien entscheiden wird. Folgt sie mehrheitlich der Ackermann-Linie? Oder setzt sich Marx durch? Das wäre eine Schlappe für seinen Trierer Nachfolger, der dann kaum noch die nötige Autorität besäße, um als Sonderbeauftragter weiterzumachen.

Der Umgang mit den innerkirchlichen Missbrauchsfällen ist aber nicht die einzige Herkulesaufgabe, die der Aufsteiger im deutschen Episkopat im am Montag beginnenden zweiten Amtsjahr zu bewältigen hat.

In seinem Bistum hat Stephan Ackermann ein millionenschweres Sparpaket in Auftrag gegeben. Jeder neunte Euro muss künftig eingespart werden, damit der Haushalt ohne Griff in die Rücklagen ausgeglichen werden kann. Bischof Stephan Ackermann muss letztlich entscheiden, wo der Rotstift angesetzt wird. Aber der Sturm der Entrüstung dürfte schon in Kürze losgehen, wenn erste Details des Sparpakets bekanntgegeben werden.

Könnte gut sein, dass sich Stephan Ackermann dann nach jenen Zeiten sehnt, als ihm die Gläubigen stehend zujubelten und mit "Wir sind Bischof"-T-Shirts begrüßten.

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