Von Drauß' vom Walde…

"Von Drauß' vom Walde komm ich her, / ich muss euch sagen, / hier graust es mir sehr. / Allüberall in den Häuserritzen / sah ich viel zu viele Lichtlein blitzen." - So ähnlich würde sich der gute alte Knecht Ruprecht wohl ausdrücken, wenn das Christkind ihn zum modernen Weihnachtsfest schicken würde: Ganze Häuser, die außen aussehen wie Diskotheken von innen, Vorgärten mit leuchtenden Rentieren, Schülerhorden mit albernen Geweih-Mützen und Fassaden-kletternde Plastik-Weihnachtsmänner, deren Besitzer offenbar immer noch glauben, sie wären total originell. Überflüssiger Kitsch statt geschmackvoller Dekoration. Im Fernsehen brüllen weißhaarige Santas "Ho Ho Ho" und preisen "X-Mas"-Angebote oder "Christmas-Events" - ohne Englisch geht da nichts mehr. Dazu in den Innenstädten volle Geschäfte, gestresste Kunden, panische Angst, am 24. Dezember ohne Geschenke dazustehen. Denn schließlich müssen wir doch unbedingt schenken, schenken, schenken, damit sich die Familie freut, freut, freut und die Wirtschaft wieder läuft, läuft, läuft. "Alt und Jung sollen nun / von der Jagd des Lebens einmal ruh'n" - von wegen. Die Sehnsucht nach dieser Ruhe, das Unbehagen am Geschenke-Stress, der Ärger über den allgegenwärtigen Kitsch und nicht zuletzt auch die Verklärung der Vergangenheit zur "guten alten Zeit" - sie sind weit verbreitet. Viel ändern wird das am heutigen Weihnachtsrummel aber kaum. Der eine oder andere wird zwar "aussteigen" und ein Weihnachtsfest ohne Geschenke genießen können. Und manch einer wird vielleicht entdecken, dass eine einzelne, echte Kerze in winterlicher Dunkelheit stimmungsvoller ist und überdies viel besser zur Weihnachtsbotschaft passt als der blinkende Lichterwahn am Fensterrahmen. Doch die Masse wird trotz Unwohlseins weiter im Weihnachtsstrom mitschwimmen und aus dem Fest der Liebe das Fest des Konsums machen. Schlechte Zeiten fürs Christkind. m.schmitz@volksfreund.de

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