Von dünnem Eis auf sicheren Boden

Nicht nur die Bundesjustizministerin lobt das Grundsatz-Urteil des Bundesgerichtshofs zum Thema Sterbehilfe als "Stärkung des Selbstbestimmungsrechts und des freien Willens". Auch fachkundige Vertreter der Ärzteschaft, der Pflege und der Hospizbewegung in der Region versprechen sich Verbesserungen.

 Hilft Menschen, menschenwürdig zu sterben: das Hospizhaus in Trier. TV-Foto: Friedemann Vetter

Hilft Menschen, menschenwürdig zu sterben: das Hospizhaus in Trier. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. In einem Punkt sind sich alle Experten einig: Die Zeiten, da man das Thema Sterben totschwieg, sind vorbei. "Wenn wir die Sache ansprechen, laufen wir bei den Betroffenen und ihren Angehörigen offene Türen ein", berichtet German Robling, der das Pflegeheim des Roten Kreuzes in Konz-Karthaus leitet. Die Frage, was denn passiert, wenn ein Mensch zum schweren Pflegefall wird, sei "längst Standard".

Auch auf der Palliativstation des Trierer Mutterhauses gehört die Frage nach dem Fall der Fälle "frühzeitig dazu", sagt Chefarzt Lorenz Fischer. Man spreche mit den Betroffenen, den Angehörigen, höre oft auch beim Hausarzt nach. Ganz ähnlich ist es im Trierer Hospizhaus. "Wir werden oft um Rat gefragt", erzählt die Vorsitzende des Hospiz-Vereins, Monika Lutz, "aber wir haben das Gefühl, wir bewegen uns auf sehr dünnem Eis".

Das könnte nach dem Karlsruher Urteil nun etwas dicker werden. Der Fall, der dort verhandelt wurde, ist nach Meinung von Mediziner Fischer ein Musterbeispiel, "wie Probleme aus Verunsicherung entstehen". Das Pflegeheim habe den Abbruch der künstlichen Ernährung verweigert, "weil die Angst hatten, rechtswidrig zu handeln". Der Klarheit wegen hat Fischer auf einen Freispruch für den angeklagten Rechtsanwalt gehofft - genauso wie die meisten der 20 Kollegen, die sich gerade gestern zu einer Palliativmediziner-Tagung in Trier getroffen haben.

Auch Pflegeheim-Chef Robling ist erleichtert: "Das Urteil sorgt dafür, dass das neue Gesetz Hand und Fuß bekommt". Dass eine "Therapiebegrenzung" auf Wunsch des Patienten nun eindeutig erlaubt ist, "hilft auf jeden Fall in der Praxis weiter".

Aber Robling plädiert ausdrücklich dafür, sich nicht auf eine nachträgliche Klärung des Patientenwillens zu verlassen. "Viele Angehörige", so seine Erfahrung, "bedauern, wenn es zu spät ist, dass sie nicht früher Klarheit geschaffen haben".

Ein Anliegen, das auch die Hospizbewegung teilt, die sich im stationären Trierer Hospizhaus, aber auch im ambulanten Dienst um Sterbende und ihre Familien kümmert. Was immer die Justiz regele, sagt die Vorsitzende Monika Lutz, "bleibt doch wacklig". Viel wichtiger sei deshalb "eine Klärung im Vorfeld".

Lutz plädiert nachhaltig dagegen, die Last der Entscheidung in Fällen, wo es keinen klaren Patientenwillen gibt, dem ärztlichen und pflegerischen Personal aufzudrücken. Gerade Pfleger seien im Umgang mit Patienten "oft sehr persönlich und emotional". Man fühle sich "vor Ort manchmal alleingelassen".

Was den Hospiz-Leuten vorschwebt, ist eine Art "Ethik-Forum" auf regionaler Ebene, das bei schwierigen Entscheidungsprozessen in unklaren Fällen einbezogen werden kann. Unabhängige, aber sachkundige Menschen könnten Angehörige, Pfleger und Ärzte beraten und bei der schwierigen Abwägung unterstützen. "Wir denken schon lange darüber nach, sind aber noch nicht weitergekommen", merkt Monika Lutz an. Das BGH-Urteil könne die Diskussion jetzt wieder ankurbeln - "und das ist gut so". extra Richter sorgen für Klartext: In mehreren wesentlichen Punkten hat der Bundesgerichtshof Fragen, die in der Praxis strittig waren, durch eine klare Auslegung entschieden. Er bezieht sich dabei ausdrücklich auf das Patientenverfügungsgesetz vom 1. September 2009. Konflikt 1: Aktives Handeln Darf man eine begonnene Versorgungshandlung durch aktives Tun beenden? Ja, man darf, sagt das Gericht. Der Behandlungsabbruch ist unter bestimmten Prämissen keine Tötung auf Verlangen. Das ist wichtig, weil es bislang oft so war, dass die Entscheidung für eine Magensonde oder ein Atemgerät unweigerlich auch den "endlosen" Einsatz nach sich zog, weil man fürchtete, Abschalten sei strafbar. Ärzte und Angehörige haben jetzt mehr Entscheidungsfreiheit. Konflikt 2: Der Zeitpunkt des Abschaltens Bislang herrschte in der Praxis oft die Meinung, das Beschleunigen des Sterbeprozesses sei allenfalls zulässig, wenn der Patient schon in unmittelbarer Nähe des Todes ist. Nun sagt das Gericht: Das spielt keine Rolle. Maßgeblich ist der Wille des Patienten, und zwar auch dann, wenn sein Leben an der Maschine theoretisch noch Jahre dauern könnte, er aber genau das nicht gewollt hat. Große Bedeutung hat das beispielsweise für Wachkoma-Fälle, in denen der Patient nicht mehr bei Bewusstsein ist, aber auch nicht im unmittelbaren Sinn todkrank. Konflikt 3: Die Form der Willenserklärung Wann liegt eine eindeutige Meinungsäußerung eines Patienten vor, wenn man ihn selbst nicht mehr fragen kann? Da stellen viele auf das Vorliegen einer - auch formal korrekten - schriftlichen Patientenverfügung ab. Der BGH sagt: Wenn eine solche Erklärung nicht vorliegt, reicht das für Pfleger und Ärzte nicht aus, um den Abbruch der Behandlung zu verweigern. Sie müssen gemeinsam mit Angehörigen, Hausärzten und Betreuern versuchen, den mutmaßlichen Willen herauszufinden. Konflikt 4: Der mögliche Meinungswechsel Sterbehilfe-Kritiker führen immer wieder an, der Patient könne sich im "Dämmerzustand" umentschieden haben und nun doch weiterleben wollen. Der BGH macht klar: Was der Patient bei klarem Verstand verfügt hat, gilt auch weiter, wenn er sich nicht mehr artikulieren kann.(DiL)

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