Von gebrochenen Schwüren und Seifenopern

Eine Woche vor der Landtagswahl im rheinland-pfälzischen Partnerland Thüringen wird der Umgangston der politischen Kontrahenten immer rauer. Selbst einstige Schwüre zählen nicht mehr. So ist der schwere Ski-Unfall von CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus längst ein Wahlkampf-Thema, obwohl es keins werden sollte.

Erfurt. Im Gewölbekeller der thüringischen Staatskanzlei ist eine Viertelstunde vergangen, als der erste Journalist das heikle Thema anspricht. Man sieht Dieter Althaus an, dass ihm die Frage widerstrebt. Und man merkt es am Tonfall seiner Antwort: "Der Ski-Unfall spielt bei den Bürgern keine Rolle", antwortet der hörbar kurz angebundene Ministerpräsident barsch. Und ein paar Minuten später: "Draußen auf der Straße, da, wo ich jeden Tag bin, spielt das Thema keine Rolle."

Das klingt so, als solle sich bei dem einstündigen Gewölbekeller-Gespräch auch das knappe Dutzend Journalisten daran halten und den 51-Jährigen nicht mit Fragen über den acht Monate zurückliegenden Ski-Unfall quälen.

Es war am Neujahrstag, als Dieter Althaus bei der Abfahrt auf der österreichischen Riesneralm einen Fehler machte, der eine 41-jährige, vierfache Mutter das Leben kostete. Ein Gericht verurteilte ihn dafür später wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe. Auch Althaus selbst wurde bei dem Zusammenprall auf der Ski-Piste schwer verletzt. Es dauerte Monate, bis er wieder genesen war. "Sind Sie wirklich wieder hundertprozentig gesund?", will ein Journalist wissen.

Dünnhäutigkeit und bereitwillige Auskunft



"Ich bin lange austherapiert", blafft Dieter Althaus zurück, "habe seit Mitte April keinen Arzt mehr besucht." Wäre das denn so schlimm? Man könnte Althaus' Dünnhäutigkeit bei diesem für ihn nicht sehr angenehmen Thema noch verstehen, würde der seit 2003 amtierende CDU-Ministerpräsident nicht andernorts bereitwillig Auskunft geben über die Folgen des Ski-Unfalls. Etwa jüngst in einem großen Interview mit der Zeitschrift "Frau im Spiegel". Da sagt Althaus, dass er jeden Tag für die verstorbene Frau bete und der Unfall ihn ein Leben lang begleiten werde. Ihr Mann sei danach "noch sensibler" geworden, sagt in dem Interview Althaus' Ehefrau Katharina. Noch sensibler?

Womöglich ist dieses offensichtliche Missverhältnis zwischen solchen Aussagen und der Art, wie sich Althaus an diesem Tag im Gewölbekeller seiner Staatskanzlei gibt, der Grund für Christoph Matschies Zorn. Der 48-jährige Sozialdemokrat und Althaus-Herausforderer bekommt schnell einen roten Kopf, wenn er auf den Ski-Unfall seines politischen Kontrahenten zu sprechen kommt. Da ist von "schamloser Selbstinszenierung" die Rede, von dem Versuch Althaus', "sich vom Täter- in die Opfer-Rolle zu mogeln" und von einer "Seifenoper mit vorgespieltem Happy End". Was der Ministerpräsident mache, sei grenzwertig, meint Matschie, "es ist schamlos".

Die frühere Verabredung, den Ski-Unfall aus dem Wahlkampf herauszuhalten, habe Dieter Althaus selbst aufgekündigt.

Vielleicht ist Althaus' Ski-Unfall auch nur deshalb in den thüringischen Wahlkampf-Fokus gelangt, weil es in dem von der CDU mit absoluter Mehrheit regierten Bundesland an anderen zugkräftigen Themen mangelt. "Es ist wie bei der letzten Landtagswahl vor fünf Jahren, es gibt keinen Streit", meint Althaus auf die Frage, worum in Thüringen politisch gestritten werde. Zwar wolle die Opposition die Bildungspolitik zum Thema der Auseinandersetzung machen, sagt der CDU-Spitzenkandidat: "Aber draußen ist das kein Thema."

Genau so wenig wie Althaus' Ski-Unfall.

Schon wieder so ein Punkt, der seinen SPD-Kontrahenten rot anlaufen lässt. "Dieter Althaus versucht, einen inhaltslosen Wahlkampf zu machen", glaubt Christoph Matschie. Möglich, dass der 48-jährige Theologe damit recht hat. Doch die entscheidende Frage ist am Ende nicht die Matschie-Analyse, sondern das Wählervotum. Nach den letzten Umfragen liegt zwar Althaus' CDU mit rund 40 Prozent klar vor der SPD (16 Prozent), aber die gewohnte absolute Mehrheit gehört am 30. August wohl endgültig der Vergangenheit an. Bliebe als ein möglicher Koalitionspartner die FDP, der um die sechs Prozent vorausgesagt werden.

Ein rot-rot-grünes Dreier-Bündnis käme derzeit auf 48 Prozent (SPD: 16, Linke: 26, Grüne: 6). Doch ob es zustande kommt, selbst wenn es rechnerisch reichen sollte, ist eher fraglich. Denn die schwächere SPD will dem nur dann zustimmen, wenn in einem solchen Fall sie selbst und nicht die stärkere Linkspartei den Ministerpräsidenten stellt.

Bleibt als weitere Option noch eine Große Koalition mit den beiden Spitzenkandidaten Althaus und Matschie.

Komisch nur, dass man dabei unweigerlich an das erst vor einem Monat geplatzte schwarz-rote Bündnis in Schleswig-Holstein denken muss.

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