Vorbeugen durch Eingreifen

Immer mehr Jugendliche wenden brutal Gewalt an. Das machten Experten bei einer Diskussion der Rechtsanwaltkammer Koblenz im Landtag mit der aus dem Fernsehen bekannten "Super-Nanny" Katharina Saalfrank deutlich. Die Forderung lautet, die Vorbeugung zu verstärken und bei auffälligem Verhalten früher einzugreifen.

Mainz. Die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik sprechen eine deutliche Sprache. Auf Schulhöfen, an Bushaltestellen oder bei öffentlichen Veranstaltungen lassen immer öfter Jugendliche die Fäuste fliegen. Besonders bedrohlich: "Die Respektlosigkeit gegenüber der Polizei steigt. Früher kamen Beamte, und der Streit war beendet, heute eskaliert die Situation, und sogar die Polizisten werden angegriffen", berichtet Ernst Scharbach, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Alkoholexzesse führten zu Hemmungslosigkeit. Im voll besetzten Wappensaal des Landtags nicken Schüler, Richter, Staatsanwälte und Pädagogen, sie kennen das offenkundig. Aber wie schlimm ist die Situation tatsächlich? Verroht die Gesellschaft und mit ihr die Jugend? Nicht so sehr die Zahl der Gewaltdelikte, sondern deren "Qualität" sei augenfällig, meint Staatsanwältin Tanja Schultz-Schwaab, die im Haus des Jugendrechts in Mainz tätig ist. Brutale Hiebe, Schläge und Tritte würden verteilt.

Wiebke Steffen vom Fachbeirat Vorbeugung der Opferschutz-Organisation Weißer Ring vertritt die Ansicht, die Kriminalstatistik spiegele nur einen Teil der Realität wider, nämlich nur die bei der Polizei angezeigten Fälle. Es gebe ein "Dunkelfeld". Tausende Schüler seien befragt worden, um das Dunkel zu beleuchten. Resultat: "Die meisten Schüler missbilligen Gewalt und sind mittlerweile eher bereit, sie anzuzeigen." Insgesamt sei die Zahl der Straftaten aber rückläufig. Das sei vor allem den erfolgreichen Präventions-Maßnahmen zu verdanken.

Jugendgewalt stellt gleichwohl eine "grundsätzliche Herausforderung" dar, bekräftigt ein Vertreter des Bildungsministeriums. Es gebe keinen Grund zur Dramatisierung, aber auch keinen zur Verharmlosung. Streit-Schlichtungs-Programme an den Schulen seien der richtige Weg. Doch es müsse auch die Schulsozialarbeit verstärkt werden, und Ganztagsschulen müssten zur Pflicht werden. Moderator Bernd Ulrich Hagen entlockt den Experten weitere "Wunschzettel", wie die Jugendgewalt effektiv bekämpft werden kann. Die aus der RTL-Serie "Die Super-Nanny" bekannte Diplom-Pädagogin Katharina Saalfrank sieht einen Weg darin, mehr Geld in die Familienhilfe zu investieren und Jugendämtern mehr Servicecharakter zu verleihen. "Ist da ein Amt nötig? Wohl kaum." Die Ausbildung von Sozialarbeitern und die Supervision von Lehrern müsse verbessert werden. Eine anderer Vorschlag lautet, Geld zugunsten der Polizei und des Jugendamtes umzuschichten, dann spare man anschließend bei Vollzugsmaßnamen und -beamten. Staatsanwältin Tanja Schultz-Schwaab verdeutlicht, die oberste Prämisse müsse "Erziehung" lauten. "Vorbeugen durch Eingreifen" sei das Gebot. "Wir müssen auf jugendliche Straftäter einwirken, damit sie ihr Leben ändern können."

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