Vorrang für den Willen des Wählers

Neues in Sachen Überhangmandate: Die schwarz-gelben Koalitionäre haben sich darüber verständigt, wie das bestehende Wahlrecht geändert werden soll. Mit dem Vorschlag soll eine Forderung des Bundesverfassungsgerichts bedient werden.

Berlin. Die Zeit drängt. Nur noch bis zum 30. Juni 2011 hat der Gesetzgeber Zeit, das Wahlrecht so zu ändern, dass nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts "willkürliche" und "widersinnige" Ergebnisse der Vergangenheit angehören. Union und FDP haben sich jetzt auf einen Reformvorschlag geeinigt. Die Opposition ist nicht begeistert.

Im Sommer 2008 hatten die Hüter des Grundgesetzes in Karlsruhe das sogenannte "negative Stimmgewicht" als mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit nicht vereinbar verworfen. Es bewirkt, dass eine Partei durch die Verrechnung von Überhangmandaten (siehe Stichwort) mehr oder weniger Parlamentssitze erhält als ihr nach dem Zweitstimmen-Ergebnis zustehen.

Verfassungshüter empfehlen Korrekturen



Zwei Beispiele: Bei der Bundestagswahl 2009 verlor die CDU in Baden-Württemberg fünf Prozent an Zweitstimmen, konnte jedoch aufgrund der direkt gewonnenen Wahlkreise zehn Überhangmandate in den Bundestag einbringen. Auf der anderen Seite hätte die SPD bei der Bundestagswahl 2005 einen Sitz mehr gewonnen, wenn sie in Hamburg 19 500 Zweitstimmen weniger erhalten hätte.

Das Verfassungsgericht monierte allerdings nicht die Überhangmandate an sich, sondern den durch diese Mandate verstärkten Effekt, dass eine Partei durch bestimmte Relationen zwischen Erst- und Zweitstimmen in dem einen Bundesland ein Mandat in dem anderen Bundesland hinzugewinnen kann. Schon zur letzten Bundestagswahl hatten die Richter Korrekturen empfohlen, auf die sich die damalige Große Koalition aber nicht einigen konnte.

Nach den Vorstellungen von Union und FDP soll das System von Erst- und Zweitstimme erhalten bleiben. Damit entstehen auch weiterhin Überhangmandate, wenn eine Partei in einem Bundesland über die Erststimmen in den einzelnen Wahlkreisen mehr Direktmandate erringt, als ihr nach dem Zweitstim-menergebnis zustehen. Union und FDP streben aber an, dass für jedes Bundesland "feste Kontingente", also eine Gesamtzahl der Abgeordneten, fixiert werden, ehe nach dem Wahlergebnis die Sitze für den Bundestag verteilt werden. Damit würden nachträgliche Verschiebungen über die Ländergrenzen hinweg unterbunden.

Neuregelung betrifft die großen Parteien



Die Begeisterung bei SPD und Grünen über den Vorschlag sei "überschaubar" gewesen, hieß es gestern aus Unionskreisen. Für die notwendige Verfassungsänderung wird die Hilfe der Opposition aber benötigt.

Vor kurzem hatte die SPD angeregt, zur Wahlrechtsfrage eine Kommission einzurichten, was die Union aber ablehnte. Die Verhandlungen über die Reform sollen nun auf der Ebene der parlamentarischen Geschäftsführer fortgeführt werden.

Eine Neuregelung der Überhangmandate wird übrigens vor allem die großen Parteien treffen, weil die Direktmandate in der Regel an SPD oder CDU gehen. Deshalb wird mit Blick auf mögliche Änderungen auch fleißig taktiert. Derzeit gibt es im Bundestag 24 solcher Mandate, die alle der CDU/CSU zugute kommen. Die politische Geschichte der Bundesrepublik wäre allerdings nicht wesentlich anders verlaufen, wenn es die Überhangmandate nicht gegeben hätte. Sie hatten kaum Einfluss auf die eine oder andere Koalitionsbildung.

Stichwort Überhangmandat: Nach einer Bundestagswahl wird zunächst die Zahl der Sitze der Parteien im Parlament nach dem Zweitstimmenanteil errechnet. Grundsätzlich geht eine Hälfte der Sitze an die Listenkandidaten, die andere an direkt gewählte Kandidaten. Zu Überhangmandaten kommt es, wenn eine Partei aus einem Bundesland mehr direkt gewählte Abgeordnete in den Bundestag entsenden kann, als ihr nach der Anzahl der Zweitstimmen in diesem Land zustehen. Alle so gewählten Kandidaten ziehen dann in das Parlament ein, denn einem direkt vom Volk gewählten Abgeordneten kann das Mandat nicht entzogen werden.

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