Vorsicht bei Psycho-Pillen für Kinder!

MAINZ. (win) Problem-Kinder werden voreilig mit Psycho-Medikamenten wie Ritalin ruhig gestellt, warnen Mediziner und Therapeuten. Ein Modellprojekt soll jetzt in Rheinland-Pfalz bundesweit neue Wege der Behandlung aufzeigen.

Aufmerksamkeitsdefizite und Hyperaktivität (ADHS-Syndrom), Angstzustände oder soziale Störungen: Acht bis 15 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland gelten als psychisch auffällig. Allzu schnell wird dabei jedoch zur Medikamenten-Keule, nicht selten gleich zu Psychopharmaka gegriffen. Bei Auffälligkeiten gibt es zu viel Trend-Diagnose, warnt Alfred Kappauf, Präsident der Landespsychotherapeutenkammer. Auf sechs bis acht Prozent wird der Anteil der Kinder mit ADHS geschätzt, doch nur bei einem Prozent wären nach seiner Meinung Medikamente und Therapie angesagt. Stattdessen gibt es Medikamente im Übermaß, aber keine therapeutische Behandlung. Krassester Fall war für Kappauf eine Landauer Schulklasse mit 28 Kindern. Dreizehn davon nahmen Ritalin oder andere Aufputschmittel mit beruhigendem Effekt. Die Langzeitwirkungen sind völlig unklar. Für den Psychologen Dieter Best gibt es eine "eklatante Unter- und Fehlversorgung" der Zappelphilipp-Kinder, von denen bis zu viermal mehr Jungen als Mädchen sind. So gibt es in Trier für eine therapeutische Versorgung Wartezeiten von 22 Wochen. Im Mai soll nun in Rheinland-Pfalz ein bundesweit einmaliges Projekt der Ersatzkassen zur integrierten Versorgung psychisch kranker Jugendlicher starten. Die Diagnose wird dabei verbessert, Hilfen aufeinander abgestimmt und das familiäre und schulische Umfeld der Betroffenen stärker einbezogen. In sechs Praxen, darunter eine in Wittlich, soll das Modell starten und dann auf 20 ausgeweitet werden. Laut Best gibt es "Zeitfenster" für eine Behandlung, die bei Jungs zwischen dem fünften und achten, bei Mädchen auch nach dem zehnten Lebensjahr liegen. Ansonsten drohen die Probleme dauerhaft zu werden, die meist durch genetisch veranlagte Stoffwechselstörungen, aber auch durch Reizüberflutung und Belastungen eines zunehmend rasanteren gesellschaftlichen Wandels ausgelöst werden können. Experten geben heute von 17 bis 19 Uhr am TV-Telefon Auskunft zum Thema ADS/ADHS.

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