Vorsicht ist geboten

Der Vergleich verfolgt Angela Merkel, seit ihr zugetraut wird, vom Thron der CDU-Vorsitzenden ins Kanzleramt zu springen: "Maggie Merkel", "eiserne Angie", "Angela Thatcher". Nun sind die Konservativen in England nicht zu vergleichen mit denen dieser Republik, keine Partei ist wohl so deutsch wie die CDU.

Der Vergleich verfolgt Angela Merkel, seit ihr zugetraut wird, vom Thron der CDU-Vorsitzenden ins Kanzleramt zu springen: "Maggie Merkel", "eiserne Angie", "Angela Thatcher". Nun sind die Konservativen in England nicht zu vergleichen mit denen dieser Republik, keine Partei ist wohl so deutsch wie die CDU. Und während die "eiserne Lady" Margaret Thatcher in den 80er-Jahren dogmatisch Geschichte schrieb mit einer radikalen Wirtschaftspolitik zulasten des Sozialwesens, ist die oft zögerliche Merkel von der Rolle einer konservativen Konterrevolutionärin noch weit entfernt. Das hat der Wähler jetzt schriftlich. Fast 40 Seiten ist das Wahlprogramm von CDU und CSU stark. Die soziale Kälte, die ungebremsten Kräfte des Marktes, ein Reformprogramm gespickt mit Grausamkeiten, der "Thatcherismus", das alles wird nicht über Deutschland hereinbrechen, sollte ab September die Union die Regierungsverantwortung übernehmen. Bemerkenswert ist an dem Papier zunächst etwas anderes: Während der Genosse der Bosse Gerhard Schröder sich die linke Rolle rückwärts in sein Wahlmanifest hat hinein schreiben lassen, tritt Merkel den Versuch an, vom Erbe des Kanzlers zu profitieren und die Agenda 2010 deutlich weiterzuentwickeln – verkehrte Welt, "Angela Schröder" lässt sozusagen grüßen. Dort, wo der Niedersachse in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik dank seiner Genossen-Partei aufgehört oder sich verzettelt hat, will die Ostdeutsche nachlegen oder korrigieren. Wo stehen wir? Was wollen wir? Das ist die Maxime. Klingt eindrucksvoll. Dahinter verbirgt sich jedoch das einfache Prinzip des Gebens und Nehmens, die schnöde Grundlage jeglichen Regierens: Unter einer Kanzlerin Merkel müssen die Bürger mit sozialen Einschnitten und höheren Belastungen rechnen. Dafür erhalten sie die Umfinanzierung der Lohnnebenkosten, die massive Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Gesundheitsreform nach dem Prämienmodell oder die stärkere Honorierung von Erziehungszeiten. Für ein Wahlprogramm ist dies zweifellos ungewohnt pragmatisch und konkret. Ob nach dem Wahltag deshalb dem Bürger das böse Erwachen wirklich erspart bleibt? Vorsicht ist geboten. Denn hinter der neuen Ehrlichkeit steckt auch jede Menge schöner Schein. Wer genau liest, entdeckt den Pferdefuß: Die Finanzierung all ihrer Vorhaben lässt die Union in weiten Teilen nebulös, sie vertraut fast naiv auf die Wachstumskraft ihrer Maßnahmen. So bleibt unklar, wo die Milliarden für den sozialen Ausgleich im Gesundheitswesen herkommen sollen, wenn CDU/CSU die Gesundheitsprämie einführen. Eine zentrale, weil kostspielige Frage ist das, doch Merkel schweigt. Auch schiebt sie die negativen Wirkungen einer Mehrwertsteuererhöhung auf die Konjunktur einfach beiseite – weil die Landesfürsten ihre Muskeln spielen ließen, ein Umstand übrigens, der einer Kanzlerin Merkel noch häufiger widerfahren wird. Nein, ein Programm aus einem Guss ist es noch nicht, was die Union gestern vorgelegt hat. Aber es ist eine glasklare Alternative. Was will man mehr im Wahlkampf? nachrichten.red@volksfreund.de

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