Vorwärts und schnell vergessen

Wer an diesem Abend ins Berliner Willy-Brandt-Haus gekommen ist, der weiß, dass er keiner Siegerfeier beiwohnen wird, sondern einer krachenden Niederlage. Klaas Hübner, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises der SPD, gibt sich auch gar keine Mühe, die miese Stimmung zu verbergen.

Berlin. Noch bevor auf den Fernsehschirmen die erste Prognose über den Ausgang der Hessen-Wahl erscheint, spricht Hübner bereits von einem "bitteren Ergebnis, das uns aber nicht hoffnungslos macht". Um Punkt 18 Uhr wirkt das Publikum trotzdem wie paralysiert. Nicht einmal die in Umfragen prognostizierte Magerkost von 25 Prozent wollten die Hessen den Genossen zubilligen. Hinter der Zwei steht nur eine Drei - es ist das schlechteste Wahlergebnis der Sozialdemokraten in Hessens Geschichte. Und jeder im großen Atrium der Parteizentrale weiß auch nur zu gut, woran es gelegen hat.

Gleich zwei Mal ist die hessische Parteichefin Andrea Ypsilanti mit ihren rot-roten Plänen gegen die Wand gelaufen. Und das obwohl ihr Wahlversprechen vor dem Urnengang im Jahr zuvor eine Zusammengehen mit den Linken kategorisch ausschloss. Seitdem herrschten unregierbare Verhältnisse in Wiesbaden. Der Wähler vergisst so etwas nicht. Passend dazu wird im Fernsehen gerade eine demoskopische Erhebung eingeblendet, wonach Ypsilantis Wortbruch bei 70 Prozent der Hessen das Vertrauen in die Politik geschwächt hat.

Die Niederlage kennt dann auch nur einen Namen - und eine denkwürdige Reaktion: Als Andrea Ypsilanti gegen 18.30 Uhr fernsehöffentlich die "politische Verantwortung" für ihr angerichtetes Desaster übernimmt und den Rückzug von allen politischen Ämtern ankündigt, gibt es zum ersten Mal an diesem Abend starken Beifall im Willy-Brandt-Haus.

Parteichef Franz Müntefering war über Ypsilantis Kapitulation schon vorher im Bilde. Deshalb hat er abgewartet, um schließlich selbst ins Atrium zu kommen und das Wort zu ergreifen. Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier lässt sich erst gar nicht blicken. Ja, das sei eine "Denkzettelwahl" gewesen, ruft Müntefering dem Parteivolk zu. Aber eben auch "nicht überraschend". Von einem Menetekel für die weiteren Urnengänge bis hin zur Bundestagwahl will der Sauerländer allerdings nichts wissen.

In der Parteizentrale der Linken, ein paar Kilometer weiter, herrscht derweil Riesen-Erleichterung. Aus den anfänglich wackligen fünf Prozent werden noch ein paar wenige zehntel Prozent mehr, sodass der Wiedereinzug in den Wiesbadener Landtag gesichert ist. Auch das ist eine Premiere in der westdeutschen Parlamentsgeschichte. Die Linke sei nun ein "konstanter Faktor", freut sich Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi unter dem Jubel seiner Anhänger.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort