Wachstumsfantasien und Hochzeitspläne

E ntgegenkommend im Ton, hart in der Sache - SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert ohne Wenn und Aber ein europaweit abgestimmtes Wachstumsprogramm als Bedingung für die Zustimmung seiner Partei zum Fiskalpakt. Im Gespräch mit unserem Korrespondenten Werner Kolhoff warnt der 52-jährige vor einem ungeordneten Austritt Griechenlands aus dem Euro .

Sie fordern Wachstumsprogramme für die Krisenländer in Europa. Haben die nicht eher Strukturprobleme, etwa schlechte Verwaltungen und fehlende Industrien?Gabriel: Beides ist notwendig, Wachstumsimpulse und Strukturreformen. Insbesondere in Griechenland ist die mangelnde staatliche Organisation das Hauptproblem, so dass dort europäische Investitionsprogramme gar nicht ohne weiteres wirken können. Das gilt aber nicht für Spanien, Italien oder Portugal. Wir müssen in Europa dringend für mehr Wachstum und Beschäftigung sorgen. Und zwar im deutschen Interesse, denn wir importieren als Exportnation die Arbeitslosigkeit unserer Nachbarn nach Deutschland, wenn es denen wirtschaftlich immer schlechter geht.Die Bundesregierung schlägt nun Sonderwirtschaftszonen mit speziellen steuerlichen Vergünstigungen für Investoren in den betroffenen Ländern vor. Was halten Sie davon? Gabriel: Davon war in dem Gespräch mit Frau Merkel nicht die Rede. Außerdem scheint das ja auch in der Bundesregierung umstritten zu sein. Ich bin skeptisch, ob Steuerbefreiungen viel bringen. Dennoch: Wir sollten alle Vorschläge ohne Tabus diskutieren und nichts von vornherein verwerfen.Auch nicht die Eurobonds? Gabriel: Hinter dem Begriff verbergen sich unterschiedliche Konzepte. Es geht darum, das Problem steigender Zinsen in den Krisenstaaten anzugehen. Es wird keine Überführung aller europäischen Schulden in eine gemeinschaftliche Haftung geben. Das wollen wir nicht, und das wäre schon verfassungsrechtlich in Deutschland auch gar nicht möglich. Die CDU behauptet immer wieder, das sei die Forderung der SPD. Das ist blanker Unsinn. Wir plädieren nicht für solche Eurobonds, sondern für einen europäischen Schuldentilgungsfonds, in dem die Schulden zwar gemeinschaftlich abgesichert werden, aber doch die Schulden jedes einzelnen Staates bleiben. Das könnte die Zinsbelastung senken, und das entspricht auch der Forderung des Sachverständigenrates, der die deutsche Bundesregierung berät.Wie groß ist die Gefahr eines ungeordneten Austritts Griechenlands aus dem Euro?Gabriel: Es kommt jetzt sehr auf den Ausgang der Wahlen in Griechenland an. Wir müssen den Griechen klarmachen, dass unsere Hilfspakete ernst gemeint und keine Bevormundung sind. Und dass wir als Gegenleistung natürlich die Einhaltung der verabredeten Reformen brauchen. Ich sympathisiere allerdings mit dem Gedanken von Jean-Claude Juncker, dem konservativen Ministerpräsidenten Luxemburgs, dass man über eine Verlängerung des Zeitraums für die Umsetzung dieser Reformen reden sollte. Denn in Griechenland geht es de facto um den Neuaufbau des Staates, und der braucht Zeit. Ich kann nur warnen: Jeder, der glaubt, es werde einfacher, wenn Griechenland aus dem Euro ausscheidet, wird erleben, dass das Gegenteil der Fall ist. Es wird unberechenbarer und teurer.Die Bürger machen sich Sorgen wegen der Lage. Müssten da die großen Parteien in Deutschland nicht zeigen, dass sie zu gemeinsamen schnellen Entscheidungen fähig sind, statt parteipolitisch um den Fiskalpakt zu pokern?Gabriel: Sorry, aber eine solche Frage ausgerechnet einem Sozialdemokraten zu stellen, empfinde ich geradezu als Provokation. Wir haben in den vergangenen Monaten immer wieder konkrete Vorschläge für Wachstumsprogramme gemacht. Immer wieder wurden sie von der Regierung abgelehnt oder gar nicht beantwortet. Beim Fiskalpakt weiß Angela Merkel seit vier Monaten, dass keine der verfassungsrechtlichen Fragen mit Blick auf die Bundesländer geklärt ist und sie die SPD für den Fiskalpakt braucht. Aber erst in der vergangenen Woche hat sie es für nötig gehalten, uns zu Gesprächen darüber einzuladen. Wir kennen unsere europäische Verantwortung. Wir sind bereit, den Rettungsschirm ESM schnell zu verabschieden, gerade mit Blick auf eine mögliche Zuspitzung der Krise in Griechenland. Frau Merkel behauptet nun, man müsse den Fiskalpakt und den Rettungsschirm gemeinsam verabschieden, was objektiv nicht der Fall ist. Sie hat Angst vor Widerständen in den eigenen Reihen. Trotzdem sind wir bereit, über beide Vorhaben abzustimmen -, wenn endlich die verfassungsrechtlichen Fragen eindeutig von der Bundesregierung geklärt werden und es vor allem ein nachhaltiges, mit uns und den europäischen Partnern abgestimmtes Wachstumsprogramm gibt.Extra

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel heiratet nach Informationen der Bild-Zeitung am 18. August seine Lebensgefährtin Anke Stadler. Eine SPD-Sprecherin sagte, dazu gebe es keinen Kommentar, das sei eine Privatangelegenheit. Der 52-Jährige und die 35 Jahre alte Zahnärztin aus Magdeburg hatten sich im Jahr 2008 kennengelernt. Der damalige Bundesumweltminister war mit starken Zahnschmerzen in die Notaufnahme der Uni-Klinik Halle gekommen, wo Stadler ihn behandelte. Das Paar lebt in Magdeburg und in Goslar. Im April kam ihre Tochter Marie zur Welt, die laut Bild am Sonntag. am Tag der Hochzeit, getauft werden soll. dpa

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