Wackeliges Wachstum

Die Frage, ob der Aufschwung 2006 ein bisschen auch Angela Merkels Aufschwung ist, ist wie die nach dem Huhn und dem Ei. Was war zuerst? Einerseits: Der Aufschwung wäre ohnehin gekommen, weil Deutschland sich der Weltkonjunktur auch mit kollektivem Pessimismus nicht entziehen kann.

Mit ihren Reformen hat die Regierung Schröder zudem einen gewissen Beitrag geleistet. Aber ohne Neuwahlen wäre der Missmut weiter gegangen, auch die Blockade durch Union und FDP. Und so wären die jetzigen Konjunkturzahlen wahrscheinlich nicht erreicht worden, wenn es nicht den Wechsel gegeben hätte. Wirtschaftsminister Glos musste zum Wachstum nichts beitragen. Denn gute Stimmung macht auch Wirtschaft. Die Menschen kaufen mehr, die Industrie investiert wieder. Die Fußball-WM schafft einen Sondereffekt. Die reale Lage aber ist fragil. Auf steigende Energiekosten, wachsenden Globalisierungsdruck und die Probleme der demografischen Entwicklung hat Deutschland kaum Antworten gefunden. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist vor allem saisonal zu erklären. Die Substanz des Arbeitsmarktes ist unverändert schlecht. Das hiesige Wachstum hinkt dem europäischen Durchschnitt auch 2006 noch hinterher, gar nicht zu reden von den USA oder den springenden Tigern in Asien. Das Maß, um auch nur mittelfristig bestehen und den Wohlstand sichern zu können, liegt höher als 1,8 Prozent. Schon ein leichter Rückschlag im nächsten Jahr kann die Stimmung mit Wucht wieder drehen. Die gestrigen Hurra-Rufe der Koalitionspolitiker sind deshalb sehr leichtfertig. Mit größerem Abstand betrachtet, hat Deutschland nach wie vor ein fundamentales Strukturproblem. Es investiert zuviel in sozialen Konsum und in alte Strukturen und zu wenig in eine dynamische Zukunft. Zukunft, das sind Kinder, das ist Bildung, das ist Forschung, das ist Infrastruktur, das sind Firmengründer. Die letzten Wahlen haben gezeigt, dass die deutsche Gesellschaft ein schnelles Umsteuern nicht akzeptiert. Der Wunsch nach einer Sicherheit, die der Staat garantiert, ist immer noch größer als der Mut, Sicherheit durch eigene ökonomische Stärke zu bekommen. Dann muss das Umsteuern eben langsamer gehen. Denn wichtiger als das Tempo ist die Richtung. Die falsche Richtung ist es, wenn für eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt nach frischem Geld gesucht wird statt nach frischen Ideen, die mehr Wettbewerb und Effizienz bringen. Falsch ist auch das Anheben der Staatsquote. Die Mehrwertsteuererhöhung ist für Wachstum und Arbeitsmarkt schädlicher denn je und für das Maastricht-Defizit-Kriterium zudem noch überflüssig. Wenn die große Koalition Mumm hätte, würde sie die Debatte, die sie sowieso überrollen wird, jetzt schnell beenden und den Beschluss korrigieren. nachrichten.red@volksfreund.de

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