Wählen, um mitzureden

In seiner Schlussphase ist dieser Wahlkampf noch ziemlich unappetitlich geworden. Eingedenk angeblicher Streichlisten werfen sich Union und SPD gegenseitig Lüge und Betrug vor.

In seiner Schlussphase ist dieser Wahlkampf noch ziemlich unappetitlich geworden. Eingedenk angeblicher Streichlisten werfen sich Union und SPD gegenseitig Lüge und Betrug vor. Und anders als bei früheren Wahlkämpfen werden die Kontrahenten ihre Schlammschlacht wohl bis zum Schließen der Wahllokale am Sonntag fortsetzen. Zuviel steht diesmal auf dem Spiel, als dass sich die eine oder andere Gruppierung schon getrost zurück lehnen kann. Immer mehr Wähler entscheiden sich immer später für ihren Favoriten. Das macht nicht nur den Demoskopen das Leben schwer. Die Parteien leiden unter der Unwägbarkeit am meisten.Bekanntlich sollte die Republik erst im Herbst 2006 zu den Wahlurnen gerufen werden. Dass es anders kommen würde, hat sich durch eine ganze Serie verlorener Landtagswahlen für die SPD schon zu Jahresbeginn abgezeichnet. Das vernichtende Votum in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai war nur der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Zumutungen der Agenda 2010 und der Eiertanz zwischen Hartz und Heuschrecken hatten die Sozialdemokraten schachmatt gesetzt. So gesehen verdient Gerhard Schröder großen Respekt, als er die Reißleine zog, um die politische Lähmung im Land zu überwinden. Der anschließende Kurz-Wahlkampf war nicht nur wegen seiner Heftigkeit ungewöhnlich. Zum ersten Mal in der Geschichte Bundesrepublik warb eine Partei mit Steuererhöhungen um die Gunst der Wähler. Und das Verblüffendste: Die Union hat mit Angela Merkel trotzdem beste Aussichten, erstmals in der deutschen Geschichte eine Kanzlerin zu stellen. Zwar lassen die Umfragen kein klares Koalitionsbündnis erkennen. Aber so gewaltig dürften die Demoskopen nicht daneben liegen, als dass sich ein immer noch deutlicher Vorsprung für die C-Parteien am Ende ins Gegenteil verkehren könnte.

Die nächste Bundesregierung wird freilich nicht auf Rosen gebettet sein. Ganz gleich, aus welchen Parteien sie besteht. Denn mit der Neuwahl sind die enormen wirtschaftlichen und finanziellen Probleme des Landes nicht verschwunden. Im Gegenteil. Sie werden noch deutlicher zu Tage treten. Mit dem Wiederbeginn des politischen Alltags haben sich die Wortgirlanden des Wahlkampfs erledigt. Dann sind schlüssige Konzepte gefragt. Im Kern ist die amtierende Bundesregierung an den Zwängen eines katastrophalen Haushalts gescheitert. Bei einer Gesamtverschuldung von 1,5 Billionen Euro und einer drückenden Zinslast sind die politischen Spielräume denkbar gering. Ohne schmerzhafte Sparmaßnahmen wird das Problem nicht zu lösen sein. Rot-Grün hat hier einen Anfang gemacht. Eine künftige Regierung wird auf diesem Pfad weiter wandeln müssen. Wer etwas anderes verspricht, weckt trügerische Illusionen.

Für den Bürger sind das natürlich keine verlockenden Aussichten. Gleichwohl erwarten die Menschen kein Schlaraffenland. Der weit verbreitete Frust über "die Politiker" ist hinreichend beschrieben worden. Einer künftigen Regierung muss es daher erst einmal gelingen, verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen. Wer ständig mit den politischen Verhältnissen hadert, aber morgen nicht wählen geht, der sollte allerdings besser schweigen.