Wahl statt Qual

Die gestrige Mehrheitsentscheidung der acht Bundesverfassungsrichter kann ernsthaft niemanden überrascht haben. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat für seine (mit Absicht verlorene) Vertrauensfrage im Nachhinein den Segen aus Karlsruhe bekommen, der Weg für die Neuwahl des Bundestags Mitte September ist damit frei.

Die gestrige Mehrheitsentscheidung der acht Bundesverfassungsrichter kann ernsthaft niemanden überrascht haben. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat für seine (mit Absicht verlorene) Vertrauensfrage im Nachhinein den Segen aus Karlsruhe bekommen, der Weg für die Neuwahl des Bundestags Mitte September ist damit frei.Jedes andere Votum des höchsten deutschen Gerichts wäre zu Recht auf Unverständnis gestoßen. Zu eng hatte sich der Kanzler in seiner Begründung der Vertrauensfrage an frühere Vorgabe aus Karlsruhe gehalten. Und zum anderen waren die Einwände der beiden klagenden Bundestagsabgeordneten Jelena Hoffmann und Werner Schulz schlichtweg falsch. Nach dem SPD-internen Streit über die Reform-Agenda des Kanzlers und der auch daraus resultierenden Wahlschlappe in der einstigen roten Hochburg Nordrhein-Westfalen stand die Partei Mitte Mai vor der Zerreißprobe und Schröder mit dem Rücken zur Wand. Hätte der Regierungschef nicht umgehend die Notbremse gezogen und noch am NRW-Wahlabend die Vertrauensfrage angekündigt, wäre er schon am Folgetag von den SPD-Linken zerrupft worden. So aber siegte noch einmal die Parteiräson über die innere Zerrissenheit der Fraktion. Schröders Vertrauensfrage: ein geniales Ablenkungsmanöver, zugleich aber auch der einzige mögliche Ausweg aus einer tiefen politischen Krise.

Ohne die jetzt auch vom Bundesverfassungsgericht abgesegneten Neuwahlen hätten sich die Genossen weitere zwölf Monate mit sich selbst und dem künftigen Kurs ihrer Partei beschäftigt. Politisch hätte sich nichts mehr bewegt - eine Regierung als Dauer-"lame-duck" zur Handlungsunfähigkeit verdammt. Qual statt Wahl.

Die Voraussetzungen für vorgezogene Neuwahlen waren somit allemal gegeben. Gut, dass das die Bundesverfassungsrichter genauso sehen. Richtig aber auch, dass mit einem im Grundgesetz verankerten Selbstauflösungsrecht des Parlaments uns künftig die (nach jeder absichtlich verlorenen Vertrauensfrage aufkommenden ewig gleichen) Diskussionen und die elendige Warterei erspart blieben.

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