Wahlfreiheit und Wettbewerb

BERLIN. Fast fünf Stunden lang saßen die Spitzen der großen Koalition am Mittwochabend im achten Stock des Berliner Kanzleramts zusammen, um die ersten Mosaiksteine für eine gemeinsame Gesundheitsreform zusammenzutragen.

Als die Runde unter Leitung von Regierungschefin Angela Merkel (CDU) kurz vor Mitternacht auseinander ging, standen zumindest ein paar Linien für die weitere Vorgehensweise fest. Offiziell wurde freilich striktes Stillschweigen verabredet. Teilnehmer, die bereits ein Fernsehinterview vereinbart hatten, mussten ihr Vorhaben absagen. Nach Informationen unserer Zeitung haben sich die führenden Koalitionspolitiker auf mehrere Kriterien verständigt.Noch uneinig über die Arbeitskosten

Neben einer neuen Finanzstruktur sollen auch mehr Wettbewerb und Effizienz in das Gesundheitssystem einziehen. Darüber hinaus soll es eine Wahlfreiheit zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung geben. Derzeit sind die beiden Systeme klar getrennt. Der Wechsel von einer gesetzlichen in eine private Assekuranz ist erst ab einem monatlichen Bruttoeinkommen von 3937,50 Euro möglich. Im Grundsatz einig ist man sich dem Vernehmen nach auch über die Notwendigkeit einer Beitragsstabilisierung des Arbeitgeberanteils. Über die Wege zur Eindämmung der Arbeitskosten gehen die Meinungen jedoch auseinander. Die Union macht sich für die Einfrierung des Arbeitgeberanteils stark. Ein weiterer Kostenschub im Gesundheitswesen müsste dann von den Arbeitnehmern komplett allein getragen werden. Außerdem plädiert die Union für eine kleine Pauschale (Kopfprämie), die der Versicherte unabhängig von seinem Einkommen zahlen soll. Die SPD will am geltenden Leistungskatalog der Krankenkassen festhalten, lehnt aber sowohl die Kopfprämie wie auch eine Einfrierung des Arbeitgeberbeitrags strikt ab. Der Durchschnittsbeitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung liegt heute bei 13,3 Prozent. Er wird hälftig von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert. Hinzu kommen noch 0,9 Prozent, die der Arbeitnehmer ohne eine Arbeitgeberbeteiligung schultern muss. Dieser Anteil entspricht den Kosten für Zahnersatz und Krankengeld. Ein Denkmodell zielt darauf ab, auch die Kosten für private Unfälle ausschließlich zu Lasten der Arbeitnehmer zu finanzieren. Begründung: Die Versicherung für Arbeitsunfälle wird jetzt schon allein von den Arbeitgebern finanziert. Über die Forderung der Union, mehr Steuergeld ins Gesundheitssystem zu pumpen, herrscht ebenfalls noch Uneinigkeit. In ihrem Entwurf zum Haushaltsbegleitgesetz hat sich die Koalition gerade erst darauf festgelegt, die pauschalen Tabaksteuer-Zuweisungen an die Krankenkassen im nächsten Jahr von 4,2 Milliarden auf 1,5 Milliarden Euro zu kürzen. Aus Regierungskreisen wurde zumindest ein weiterer Gesprächstermin bestätigt. Am Mittwoch kommender Woche wird die schon länger geplante Sitzung des Koalitionsausschusses vorgezogen, damit die "Gesundheitsrunde" ab 20 Uhr erneut im Kanzleramt tagen kann. Eingeladen sind diesmal auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und der Gesundheitsexperte der Union, Fraktionsvize Wolfgang Zöller. Die überraschend frühzeitige Einbeziehung der Fachpolitiker deutet darauf hin, dass die Detailarbeit rasch beginnen soll. "Die brauchen Leute, die davon etwas verstehen", hieß es gestern in Koalitionskreisen. Laut Merkel will sich Schwarz-Rot bis zur Sommerpause auf eine Reform verständigt haben. Der Fahrplan kommt offenbar auch nicht durch die Erkrankung von SPD-Chef Matthias Platzeck ins Schwimmen. Wegen eines Hörsturzes ließ sich Platzeck am Mittwoch von Partei-Generalsekretär Hubertus Heil vertreten.

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