Wahlsiegerin Michelle Bachelet verspricht ein "Chile für alle"

Santiago de Chile · Mit 62 Prozent der Stimmen hat Michelle Bachelet die Stichwahlen in Chile deutlich gewonnen. Am 11. März des kommenden Jahres tritt sie eine zweite Amtszeit an - mit dem Versprechen, das ungerechte Bildungssystem und die Verfassung des südamerikanischen Landes zu reformieren.

Santiago de Chile. Es waren Bilder für die Geschichtsbücher, als das chilenische Militär im Januar 2002 vor Veronica Michelle Bachelet salutierte: eine Frau als Verteidigungsministerin - eine Sozialistin noch dazu, ein Folteropfer der Pinochet-Diktatur. 2006 wurde Bachelet gar als erste Frau Staatsoberhaupt und Regierungschefin ihres Landes. Gegen Ende ihrer ersten Amtszeit hatte sie Ende 2009 traumhafte Zustimmungswerte von rund 80 Prozent. Nun, nach der verfassungsmäßigen Zwangspause von vier Jahren, tritt die 62-Jährige im Frühjahr ihre zweite Präsidentschaft an.
In ihrer ersten Legislatur zog Bachelet in der durch und durch marktliberalen Volkswirtschaft Chiles einige gesetzliche Grundlinien gesellschaftlicher Solidarität ein - ohne jedoch grundlegend am neoliberalen Comment des Landes zu rühren. Im abgelaufenen Wahlkampf machte sie sich mit dem Slogan "Chile für alle" die populären Forderungen nach mehr Arbeitsschutz, Zwangseinrichtung von Gewerkschaften und kostenloser Hochschulbildung zu eigen: Wahlversprechen, deren Bestand sich nun in der Praxis erweisen muss.
Zu den Gründen für Bachelets Popularität gehören ihr Sinn für einfache, aber wirksame Gesten sowie ihre menschliche Bodenhaftung; die Fähigkeit, auch mal Wissenslücken einzugestehen und mit biografischen Brüchen offensiv umzugehen.
Die Mutter dreier Kinder, die sie allein erzogen hat, wird selten als arrogant und meist als authentisch wahrgenommen. Seit September 2010 arbeitete sie als Direktorin der UN-Frauenorganisation UN Women - im Rang einer Uno-Untergeneralsekretärin. Der katholischen Kirche Chiles ist vor der Atheistin Bachelet nicht bange. Man kenne sich seit langem, sagte Hauptstadt-Erzbischof Ricardo Ezzati kürzlich in der Hauptstadt Santiago. Bachelet habe ihn bereits eingeladen, Mitglied in einem neu zu schaffenden Bildungsrat zu werden. Zudem schätze er die Haltung der früheren Kinderärztin gegen Abtreibung sowie ihre menschlichen Qualitäten. Auch aktive Sterbehilfe lehnt Bachelet ab. Sie sei "Ärztin geworden, um Leben zu retten", betont sie stets im politischen Diskurs.
Gleichwohl steht die Linkspolitikerin nicht nur für sich selbst, sondern für das Mitte-Links-Parteienbündnis Nueva Meyoria. Von ihrem Regierungsprogramm stehe noch vieles in den Sternen, räumt Ezzati ein. Es sei zu befürchten, dass der Säkularismus in Chile weiter Raum greifen werde.
Schon als Studentin war die 1951 geborene Tochter von General Alberto Bachelet politisch aktiv. Ihr Vater, der loyal zum sozialistischen Präsidenten Salvador Allende stand, wurde nach dem Militärputsch vom 11. September 1973 inhaftiert und starb an den Folgen von Folter im Gefängnis. Während ihres Medizinstudiums demonstrierte Michelle auf den Straßen Santiagos, versteckte Regimegegner und arbeitete selbst im Untergrund. Im Januar 1975 wurden sie und ihre Mutter verhaftet, gefoltert und nach gut zwei Wochen ins Exil abgeschoben. Bachelet ging nach Berlin, wo damals viele chilenische Sozialisten Aufnahme fanden, und studierte an der Humboldt-Universität. "Wir wurden als Gäste in der DDR empfangen. Das Land war extrem solidarisch mit uns", erinnerte sie sich - und dankte später Margot Honecker, die ihrerseits 1992 in Chile aufgenommen wurde. Bachelet selbst kehrte 1979 in die Heimat zurück und beendete 1983 ihr Medizinstudium.Studium in Berlin


Sie übernahm Posten in der öffentlichen Verwaltung und wurde 2000 unter Präsident Ricardo Lagos zunächst Gesundheits-, später Verteidigungsministerin - 2006 dann Staatspräsidentin. Da ihre Wiederwahl qua Verfassung nicht möglich war, entschieden sich die Chilenen 2009 für den konservativen Kandidaten, den milliardenschweren Unternehmer Sebastian Pinera - und brachten damit erstmals seit Ende der Pinochet-Ära 1990 wieder "die Rechten" ans Ruder. Nun, begünstigt auch durch die Folgen der schweren Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe vom Februar 2010, herrschte erneut Wechselstimmung. Bachelets Ruf nach einem "Chile für alle" hat Widerhall gefunden.

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