Was deutsche Asylbehörden von der Schweiz lernen können

Brüssel/Bern · Schnellverfahren haben in mehreren europäischen Ländern die Zahl der Asylanträge stark sinken lassen. Selbst Menschenrechtsorganisationen sehen positive Auswirkungen.

 In Deutschland stammen rund 40 Prozent der Asylanträge von Bürgern der Balkanstaaten (siehe auch Grafik rechts). Politiker verschiedener Parteien fordern daher, dass der Bund die Anträge schneller bearbeitet. Archiv-Foto: dpa

In Deutschland stammen rund 40 Prozent der Asylanträge von Bürgern der Balkanstaaten (siehe auch Grafik rechts). Politiker verschiedener Parteien fordern daher, dass der Bund die Anträge schneller bearbeitet. Archiv-Foto: dpa

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Brüssel/Bern. Die Zahl der Asylanträge steigt in den meisten Ländern Europas - doch in der Schweiz weniger als anderswo. Das liegt an den besonders schnellen Asylverfahren, welche die Schweizer Behörden vor drei Jahren für Asylsuchende aus den Balkanländern eingeführt haben. In Deutschland stammen rund 40 Prozent der Asylanträge von Bürgern der Balkanstaaten. Politiker jeder Couleur fordern darum, dass der Bund diese schneller bearbeitet. Inspiration holen sie sich in der Schweiz, wo sich der bayerische CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer mit einem Brief für einen Informationsbesuch angemeldet hat, wie das Schweizerische Staatssekretariat für Migration bestätigt.
Die Schweiz war schon 2012 in einer ähnlichen Situation wie Deutschland heute. Da brach der Schweizer Migrations-Staatssekretär Mario Gattiker ein Tabu. "Es kann doch nicht sein, dass Personen aus Ländern, die ohne Visum in die EU reisen können, in der Schweiz Asyl suchen", sagte Gattiker damals. Bürger der meisten Balkanländer brauchen seit Jahren kein Visum mehr für die Reise in den Schengen-Raum, dem auch die Schweiz angehört.
Eine Antwort auf diese Situation fand Gattiker in Norwegen. Dort werden bereits seit 2001 Asylanträge von Personen aus sogenannten sicheren Herkunft-staaten innerhalb von 48 Stunden erledigt.
Direkt ins Empfangszentrum


Im Sommer 2012 zog die Schweiz nach, zunächst für Bürger aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Sie werden seither von der Grenze direkt in Empfangszentren des Bundes gebracht, wo die Behörden sie anhören und ihre Gesuche bearbeiten. Gleichzeitig versuchen die Migrationsbeamten, Identitätspapiere aufzutreiben oder neue Reisedokumente auszustellen. Danach müssen abgelehnte Asylbewerber wieder ausreisen - oder sie werden von der Polizei in Haft genommen und in ihr Heimatland zurückgeschafft.
Inzwischen behandelt die Schweiz auch Asylgesuche von Kosovaren und Georgiern innerhalb von 48 Stunden. Die Anerkennungsquote für Bürger dieser Nationalitäten tendiert gegen null: Bei über 400 Anträgen im vergangenen Jahr erhielten gerade mal 13 Kosovaren und kein einziger Georgier in der Schweiz Asyl. Das wirkt sich auf die Zahl der neuen Gesuche aus. Mit der Einführung des 48-Stunden-Verfahrens sanken sie zwischen 30 und 90 Prozent.
Im laufenden Jahr registrieren zwar auch die Schweizer Behörden wieder etwas mehr Asylgesuche von Bürgern der Balkanstaaten - doch liegen die Wachstumsraten deutlich unter jenen etwa in Deutschland. Zudem kann die Schweiz dank spezieller Rückübernahmeabkommen abgewiesene Asylbewerber rascher ausweisen. 2014 etwa reisten 174 Personen freiwillig nach Kosovo, 415 wurden von der Polizei abgeschoben, 330 tauchten unter, verschwanden über die Grenze oder zogen ihr Asylgesuch zurück. Der rasche Rückgang der Asylzahlen hat die Schweizer Behörden ermutigt, das Schnellverfahren auch für Bürger aus sechs afrikanischen Ländern einzuführen, darunter Tunesien, Nigeria und Senegal. Weil es aufwendiger ist, ihre Identität und Herkunft zweifelsfrei zu klären und ihnen Reisepapiere zu beschaffen, werden ihre Anträge in einem sogenannten "Fast-Track-Verfahren" geprüft, das zwischen 35 und 65 Tagen dauert. Die Zahl der Gesuche ist seither um fast drei Viertel gesunken.
Selbst beim Schweizer Ableger der Menschenrechtsorganisation Amnesty International heißt es, die Beschleunigung der Asylverfahren sei "prinzipiell gut". Sprecherin Alexandra Karle sagt, Asylbewerber erhielten so rasch eine Antwort, die Wartezeit verkürze sich. Allerdings mahnt sie auch Gefahren an: Die Schnellverfahren dürften nicht zu einer Massenabschiebung in vermeintlich sichere Herkunftsländer führen. Auf dem Balkan etwa drohten gerade Roma Verfolgung oder Gefängnis. Amnesty pocht darauf, dass jeder Antrag einzeln beurteilt wird: "Die individuelle Prüfung ist ein Menschenrecht."
Die Schweizer Behörden versichern, dass sie die einschlägigen völkerrechtlichen Vorgaben der Genfer Konvention einhalten: "Wir machen auch in den Schnellverfahren noch eine Einzelfallprüfung, sagt Lea Wertheimer, Sprecherin des Schweizerischen Staatssekretariats für Migration.
Einzelne Drangsalierungen


Damit stellen wir sicher, dass Schutz erhält, wer Schutz braucht", sagt Wertheimer. Hinweise auf "Massenrückschaffungen" durch die Schweiz gibt es bisher denn auch nicht -sehr wohl aber Einzelfälle, bei denen Asylbewerber nach ihrer Rückführung verhaftet oder drangsaliert wurden. In der Schweiz werden die schnellen Verfahren aber so positiv bewertet, dass nun für alle Asylbewerber beschleunigte Abläufe geprüft werden.
Der Bund hat bei Zürich ein Testzentrum gebaut, in dem Asylanträge in Zusammenarbeit verschiedener Instanzen rasch bearbeitet werden - bisher werden Asylbewerber auf die Kantone verteilt, was die Verfahren in die Länge zieht und zu Doppelspurigkeiten und hohen Kosten führt.
Die entsprechenden Gesetzesänderungen sind bisher von einer Kammer des Parlaments genehmigt worden, wesentlicher Widerstand zeichnet sich auch in der zweiten Kammer nicht ab.
Selbst die Schweizerische Flüchtlingshilfe zeigt sich an dem Modell interessiert, weil die Asylbewerber künftig von Anfang an Anrecht auf einen kostenlosen rechtlichen Beistand haben. Das hat bisher nicht zu einer Zunahme von Widersprüchen geführt, im Gegenteil: Weil die Asylbewerber die Verfahren besser verstehen und ihre Chancen realistischer einschätzen können, verzichten sie zunehmend auf chancenlose Eingaben.
Die Neuerungen können aber höchstens chancenlose Asylbewerber abschrecken und die Kosten begrenzen - sie führen hingegen nicht dazu, dass alle Flüchtlinge einen Bogen um die Schweiz machen. Im ersten Semester des laufenden Jahres kamen 15,5 Prozent mehr Asylsuchende als im Vorjahreszeitraum. Die meisten von ihnen stammen aus Eritrea, Somalia, Sri Lanka und Syrien.

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