Was kostet uns Europa?

BERLIN. Wie teuer kommt uns Europa zu stehen? Nach dem hoch gelobten Finanzkompromiss, den Angela Merkel auf dem EU-Gipfel am vergangenen Wochenende ausgehandelt hatte, wurde gestern Kritik an der Kanzlerin laut.

"Wenn dieses Ergebnis dazu führt, dass der deutsche Beitrag erheblich steigt, dann ist ein Haar in der Suppe", befand die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Christine Scheel. Der Finanzexperte der FDP, Hermann Otto Solms, hält Merkels Verhandlungserfolg gar für "finanzpolitisch nicht zu verantworten". Der Bundeshaushalt lasse sich nicht sanieren, wenn laufend draufgesattelt werde. Auch die liberale Europa-Parlamentarierin Silvan Koch-Mehrin sprach von einem Pyrrhus-Sieg für Merkel. Der Proteststurm der Opposition geht auf Schätzungen aus Regierungskreisen zurück, wonach der deutsche Nettobeitrag, also die Differenz zwischen den Überweisungen nach Brüssel und den Rückflüssen etwa durch Agrarbeihilfen, ab 2007 um knapp zwei Milliarden auf jährlich 10,4 Milliarden Euro steigen wird. Dagegen hatte Merkel über Ersparnisse von rund einer Milliarde Euro gegenüber früheren Planungen berichtet. Also was nun? Regierungssprecher Thomas Steg suchte die Frage zunächst sybillinisch zu beantworten: "Es kommt auf die Betrachtungsweise und den Vergleichsmaßstab an." Zweifellos wird Deutschland mehr Geld für Europa ausgeben und trotzdem irgendwie sparen. Das klingt verwirrend, ist aber tatsächlich eine Frage der Betrachtung: Gemessen an den ursprünglichen Plänen in Brüssel wäre der EU-Haushalt in der kommenden Finanzperiode zwischen 2007 und 2013 auf über eine Billion Euro angestiegen. Das hätte Deutschland enorm belastet. Auch die Vorlagen unter der luxemburgischen und britischen Ratspräsidentschaft wurden von der EU-Mehrheit abgelehnt. Der Kompromiss vom letzten Wochenende sieht nun ein EU-Budget von 862 Milliarden Euro vor. Gemessen am Luxemburger Vorschlag steht Deutschland damit tatsächlich um knapp eine Milliarde Euro besser da - genauso wie von Merkel verkündet. Mehrbetrag noch nicht seriös zu beziffern

Im Vergleich zur Etat-Periode bis 2006 erhöht sich allerdings das gesamte Finanzvolumen bis 2013 um 112 Milliarden Euro. Schließlich müssen künftig 27 EU-Staaten berücksichtigt werden und nicht mehr 15. Die neuen Mitgliedsstaaten in Osteuropa sind auf stärkere Hilfe angewiesen. Aller Voraussicht nach wird Deutschland dabei jährlich mit knapp zwei Milliarden Euro zusätzlich zur Kasse gebeten. Das sei der "augenblickliche Stand", räumte Regierungssprecher Steg ein. Für das "große Werk der historischen Einigung Europas" sei Deutschland aber gern bereit, diesen Preis zu zahlen. Sein Fazit: "Wir werden weniger abführen müssen als gedacht, aber mehr als in der Vergangenheit." Der europapolitische Sprecher der Union, Michael Stübgen, hält dann auch die Kritik der Opposition für puren Populismus. "Die FDP suggeriert, dass alles von Nachteil ist, wenn Deutschland mehr zahlen muss. Dabei ergibt sich das schon aus der EU-Osterweiterung", sagte Stübgen gegenüber unserer Zeitung. Der genaue Mehrbetrag lasse sich aber jetzt noch nicht seriös beziffern, weil niemand wisse, in welchem Maße zum Beispiel die EU-Strukturfonds genutzt würden. In der Vergangenheit wurden solche Mittel weniger in Anspruch genommen, als ursprünglich veranschlagt. Schon bisher war Deutschland nach den absoluten Zahlen der größte Beitragszahler in der EU. Der Haushaltsexperte der CDU, Steffen Kampeter, fand es deshalb "wenig originell", dass dieser Umstand nun von FDP und Grünen kritisiert wird. Auch SPD-Fraktionsvize Joachim Poß stärkte der Kanzlerin den Rücken. "Trotz der erheblichen Erweiterung der EU konnte auch dank deutscher Verhandlungsführung der Gesamtfinanzrahmen deutlich begrenzt werden." Der EU-Haushalt diene auch dazu, die wirtschaftlich schwächeren Partner an die stärkeren Mitglieder her-anzuführen. "Und da ist Deutschland als die nach wie vor potenteste Ökonomie in Europa zwangsläufig beteiligt", betonte Poß.

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