Kirche Was schlummert in den Kirchenarchiven?

Trier/Mainz · Eine Gruppe Juristen glaubt, dass die Staatsanwaltschaften nach Veröffentlichung der Missbrauchsstudie handeln müssen.

Was schlummert in den Kirchenarchiven?
Foto: dpa/Harald Tittel

In vielen Fällen erfahren Ermittlungsbehörden von einer Straftat erst durch eine Strafanzeige. Im Fall des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche in Deutschland wurden hingegen schon Mitte September die wesentlichen Ergebnisse der sogenannten MHG-Studie bekannt.

Die hohen Fallzahlen sorgten weithin für Erschütterung. „Die Zahlen gingen wie eine Rakete einmal um die Welt“, sagt Studien-Koordinator Harald Dreßing. Auch New York Times und Le Monde hätten berichtet. Doch auch diese weltweite Berichterstattung hätte nicht automatisch bedeutet, dass sich die deutschen Staatsanwaltschaften einschalten.

Dies hat sich nun geändert, seit eine Gruppe von Strafrechtsprofessoren Anzeige gegen Unbekannt bei Staatsanwaltschaften im Bereich aller 27 deutschen Diözesen, darunter auch Trier,  eingereicht hat. Nun müssen die Staatsanwaltschaften prüfen, ob es einen Anfangsverdacht für strafbare Handlungen gibt. Die Professoren um den Passauer Strafrechtsgelehrten Holm Putzke sehen eine „unbedingte Pflicht“, dem nachzugehen.

Auf den ersten Blick spricht die schiere Dimension der Zahlen dafür, dass die Strafverfolger fündig werden müssten. Denn laut Missbrauchsstudie fanden sich in kirchlichen Personalakten zwischen 1946 und 2014 in Deutschland 3677 Betroffene sexueller Übergriffe von mindestens 1670 Beschuldigten, darunter mehrheitlich Priestern. Und das sei vermutlich nur „die Spitze des Eisbergs“, so Dreßing.

Die Staatsanwaltschaften prüfen  derzeit, ob sie Ermittlungen aufnehmen. Ob am Ende tatsächlich neue Anklagen stehen, scheint fraglich. Zu den Behörden, die gerade prüfen, gehört die Staatsanwaltschaft Trier. Der Leitende Oberstaatsanwalt Peter Fritzen sagte auf Anfrage unserer Zeitung: „Die Strafanzeige wird daraufhin geprüft, ob sich aus ihr tatsächliche Anhaltspunkte für eine noch nicht verjährte strafbare Handlung ergeben.“ Daraus wird ersichtlich, wo rechtliche Hürden liegen.

 Harald Dreßing, Koordinator der Missbrauchsstudie.

Harald Dreßing, Koordinator der Missbrauchsstudie.

Foto: dpa/Arne Dedert

Für eine Einleitung von Ermittlungen reichen bloße Vermutungen nicht aus. Ein Anfangsverdacht ist nötig. Und der setzt laut Strafprozessordnung (StPO) „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat“ voraus. Diese müssen dafür sprechen, dass ein Verdächtiger an einer konkreten Straftat beteiligt war. Gibt es einen Anfangsverdacht, dann muss die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren einleiten.

Zweitens: Die strafbare Handlung darf nicht verjährt sein. Zwar kann ein Delikt umso länger geahndet werden, je schwerer es mit Strafe bedroht ist. Bei sexuellem Missbrauch liegt die Verjährungsfrist – je nach Schwere der Tat – zwischen fünf  und 30 Jahren. Die Studie bezieht sich aber auf Verdachtsfälle, die in den vergangenen 70 Jahren aktenkundig wurden.

Im Bistum Trier gab es beispielsweise nach Auswertung von Akten aus den Jahren 1946 bis 2017 Missbrauchsvorwürfe gegen 148 Priester. Nach Angaben des Generalvikars Ulrich Graf von Plettenberg gab es 54 staatliche und 67 kirchenrechtliche Verfahren. Von den staatlichen Verfahren wurde fast die Hälfte eingestellt. In 16 Fällen wurden Gefängnisstrafen verhängt, in drei Fällen gab es Geldstrafen.

Triers Bischof Stephan Ackermann verweist darauf, dass seit 2010 – damals wurden die Leitlinien überarbeitet – die gemeldeten Fälle ohnehin der jeweiligen Staatsanwaltschaft übergeben würden. „Wenn sich aus der Ende September veröffentlichten Studie nun ein Anfangsverdacht auf zurückliegende Fälle ergibt, besteht selbstverständlich die Möglichkeit, dass Staatsanwaltschaften Ermittlungen aufnehmen und von der unbedingten Kooperation der jeweiligen Diözese ausgehen dürfen“, sagte Ackermann am Freitag unserer Zeitung.

Gegen die von den Strafrechtsprofessoren in ihrer Anzeige geforderte Durchsuchung von Archiven und die Beschlagnahme der vollständigen, nicht anonymisierten Akten verwahrt sich der Trierer Bischof allerdings. Nach der geltenden Rechtslage sei es nicht möglich, Staatsanwälte in Kirchenarchive zu schicken und auf gut Glück alle Akten durchforsten zu lassen, sagt Ackermann.

Wie die Staatsanwaltschaften die Sache bewerten, wird sich zeigen.  Nach Aussage des Trierer Chef-Staatsanwalts Peter Fritzen kann die Auswertung einige Zeit dauern. Dafür ist allerdings nicht mehr Trier zuständig. Weil die gleiche Anzeige auch in Mainz eingegangen ist, kümmert sich die übergeordnete Koblenzer Generalstaatsanwaltschaft nun zentral um beide Anzeigen.

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