Was Süßes und was Saures

Mainz · Rheinland-Pfalz feiert den 70. Jahrestag seiner Verfassung mit einer Torte, Reden und einem Aufreger. Ex-Ministerpräsident Kurt Beck kritisiert die AfD dafür, wie sie auf das Europa-Plädoyer des luxemburgischen Außenministers reagiert.

Was Süßes und was Saures
Foto: (g_pol3 )

Mainz Es gibt persönliche Geschichten, die vergisst ein Rheinland-Pfälzer nie in seinem Leben. Alexander Licht huscht sofort ein Lächeln übers Gesicht, wenn er über seinen ersten Tag im rheinland-pfälzischen Landtag spricht. Der CDU-Abgeordnete fuhr vor 26 Jahren als Moselwinzer von Bernkastel-Kues nach Mainz, voller Ehrfurcht vor der großen, weiten Politikwelt. Und dann? Am Ende des Tages setzte er sich ins Auto, ohne Mittagessen im Bauch, dafür aber mit einem Parkknöllchen von vielleicht zehn Mark an der Scheibe, erinnert er sich. "Von da an wusste ich: Hier wird auch nur mit Wasser gekocht." Und der alte Landeschef Kurt Beck weiß noch, wie das war, als der 1. FC Kaiserslautern 1998 Meister wurde und wie er beim entscheidenden 4:0 gegen Wolfsburg im Stadion jubelte. Abgestiegen, aufgestiegen und direkt Erster, das war mal ein Ding, sagt Beck.
Zwei persönliche Rheinland-Pfalz-Geschichten von zwei Männern, die am Donnerstag im Mainzer Parlament den 70. Geburtstag der Landesverfassung feiern - und sich doch für einen kurzen Moment kolossal ärgern. Als der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn in seiner Festrede die Politiker auffordert, am Schengen-System und damit dem Verzicht auf Grenzkontrollen im mitteleuropäischen Raum festzuhalten, klatschen Politiker und Ehrengäste im Landtag. Alle, mit Ausnahme der AfD. "Das ist beschämend", sagt Alexander Licht. Und Kurt Beck sagt im Gespräch mit dem TV, er habe bei der Reaktion der AfD zwischen "Ärger über so viel Ignoranz von geschichtlichen Erkenntnissen und Mitleid geschwankt". Das Schengen-System habe Grenzregionen nach vorne gebracht, die Bewegungsfreiheit gesichert, Arbeitsplätze geschaffen. "Ich frage mich, was für ein Weltbild man hat, wenn man dann Grimassen zieht und nicht klatscht", sagt Beck. Und, so legt er nach: "Leute, die so verengt sind in ihrer Wahrnehmung, tun mir fast leid. Das ist bedrückend."
AfD-Chef Uwe Junge teilt dem TV später mit, dass sich Abgeordnete der Fraktion bei Beifallsbekundungen grundsätzlich nicht abstimmen. Er weist darauf hin, dass sich Asselborn in jüngster Zeit "sehr kritisch bis abfällig" zur AfD geäußert und nur beiläufig die Frage der EU-Außengrenzen erwähnt habe.
Wie wichtig die enge Verknüpfung mit Europa ist, hebt dagegen Ministerpräsidentin Malu Dreyer hervor. "Es sei unvorstellbar, als Triererin nicht einfach nach Luxemburg oder Belgien fahren zu können", sagt die SPD-Politikerin. Und Asselborn meint, er wolle keine Rückkehr zu Zeiten, in denen das Warten auf der alten Wasserbilliger Grenzbrücke Stunden gedauert habe. Europa sei nicht in einem guten Zustand, sagt Dreyer, eine Rolle zurück dürfe es aber nicht geben. Im Gegenteil: "Die Energie, mit der unsere Eltern und Großeltern Rheinland-Pfalz aufgebaut haben, brauchen wir heute für Europa."
Die Entwicklung des Landes nennt Dreyer eine Erfolgsgeschichte. Ein Kind, das im Verfassungsjahr 1947 geboren sei, habe Hunger erlebt, Armut, Demokratie, den Wiederaufbau, sagt sie. Einem Kind, das heute geboren wird, stünden berufliche Perspektiven und Lebensglück offen. Anfangs als Land der Reben, Rüben und Raketen verspottet, habe sich Rheinland-Pfalz regionale Identitäten bewahrt, Frieden und so wenige arbeitslose Menschen wie nie zuvor. Ihr Wunsch für Rheinland-Pfalz? Schöne Geschichten. "Ich hoffe, dass in 70 Jahren jemand hier an meiner Stelle steht - und auch von einer wundervollen Entwicklung schwärmt."Extra: NACH DER VERFASSUNG WARTET DIE NÄCHSTE FEIER


(flor) Die Rheinland-Pfälzer stimmten der Landesverfassung am 18. Mai 1947 mit 53 Prozent zu. Damit war der Weg frei für das neue Bundesland. Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) hob hervor, dass der Weg zur Demokratie holprig gewesen sei. Nun gehe es darum, für das Erreichte einzustehen. "Wir dürfen es uns nicht gemütlich machen." Nach der 70-Jahr-Feier wartet bald noch ein deutlich größeres Fest. Am 3. Oktober richtet das Land die Feier zum Tag der Deutschen Einheit aus. Malu Dreyer dazu: "Ich bin mir ganz sicher, wir werden unserem Ruf gerecht werden, gute Gastgeber zu sein."

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