Washingtoner Wink mit dem Zaunpfahl

Washington · US-Präsident Obama verfolgt eine neue außenpolitische Strategie: Mehr Nationen müssen in die erste Reihe treten - und Kosten tragen. Weil Frankreich da - anders als die Deutschen - vorneweg marschiert, wird Präsident Hollande hoch gelobt und geehrt.

Washington. Sie waren enge Vertraute, der frankophile Thomas Jefferson, der feinsinnige Poet unter den Gründern der amerikanischen Republik, und der rebellische Marquis de Lafayette, der an der Seite der Kolonisten gegen die Briten kämpfte. Eine Art Bruderpaar der Revolution: Wann immer amerikanische Präsidenten die Freundschaft mit Frankreich zelebrieren, bringen sie die beiden ins Spiel.
Kein Wunder, dass Barack Obama seinen Staatsgast François Hollande mitnahm nach Monticello, auf das Landgut in den Hügeln Virginias, wo Jefferson nicht nur am Text der Unabhängigkeitserklärung feilte, sondern auch Kräuter zog, die er in Paris kennengelernt hatte. Monticello, das Symbol neuer, wiedergefundener Nähe. Es ist erst gut ein Jahrzehnt her, da waren die Franzosen hoffnungslos altes Europa, die "cheese-eating surrender monkeys", die Käse fressenden Kapitulationsaffen, wie die schrille New York Post sie betitelte. Weil sich Jacques Chirac vom Feldzug im Irak distanzierte, wurden die "French Fries" (Pommes Frites) der Kongresskantine vorübergehend als "Freedom Fries" serviert. Und heute nutzt das Oval Office jede Gelegenheit, um den Verbündeten über den grünen Klee zu loben, Amerikas ältesten Verbündeten in Europa, wie man demonstrativ betont.
"Es ist, als hätten beide Länder die Rollen komplett vertauscht", sagt Heather Conley, Europa-Expertin am Center for Strategic and International Studies in Washington. Während Obama der zweifelnden Supermacht Zurückhaltung auferlege, seien es die Franzosen, die offensiv Flagge zeigten. Als das Weiße Haus einen Militärschlag gegen Syrien erwog, als das Londoner Unterhaus eine Beteiligung Großbritanniens ausschloss und sich Frankreich als einziger Alliierter von Rang zum Mitmachen verpflichtete, wirkte Hollande wie der Oberfalke. Ein Falke, um den es einsam wurde, als Obama den Rückwärtsgang einlegte, die Entscheidung über den Angriff dem Parlament überließ und im Stillen an einem Deal mit Russland bastelte. Im November war es Frankreich, das einen amerikanisch-iranischen Kompromiss im Streit um Teherans Atomprogramm um ein paar Wochen verzögerte, indem es auf strengeren Kontrollen des iranischen Schwerwasserreaktors Arak bestand. Da erinnerte Hollande ein wenig an Margaret Thatcher, die Eiserne Lady, die den alten George Bush einmal beschwor, nicht "wobbly" zu werden, nicht weich in den Knien.TV-Analyse Außenpolitik



Für Obama zählt etwas anderes, nämlich das Beispiel, das Schule machen soll: der Europäer, der vorangeht, ohne auf Uncle Sam zu warten, der Truppen nach Mali entsendet und in die Zentralafrikanische Republik, der sich Lasten aufbürdet. Die USA wären grotesk überfordert, wollten sie an jedem Brandherd der Welt zu löschen versuchen, lautet seine feste Überzeugung. "Leading from behind" ("Von hinten führen"), heißt die Kurzfassung des Konzepts, seit es ein Kolumnist des New Yorker in einem satirisch klingenden Satz bündelte. Der Aktivismus Hollandes bildet die perfekte Ergänzung zur abwägenden Vorsicht Obamas, dafür wird der Gast geehrt mit einem Staatsbesuch inklusive Gala-dinner, einer protokollarischen Geste, die selten geworden ist.
Der Letzte, der in den Genuss einer "State Visit" kam, war im Oktober 2011 Lee Myung Bak, der Präsident Südkoreas. Diesmal sind es protokollarische Seiltänze, die am Rande für Gesprächsstoff sorgen: Die alten Einladungen, kalligraphische Kunstwerke auf elfenbeinfarbenem Papier, mussten zerrissen werden, weil sie geschrieben wurden, als sich Hollande noch nicht von seiner Lebensgefährtin Valérie Trierweiler getrennt hatte. Aber politisch dreht sich alles um das entgegengesetzte Motiv: der treue Partner, der Farbe bekennt, während eine Angela Merkel noch zaudert. "Mehr Nationen müssen in die erste Reihe treten, um die Last und die Kosten internationaler Führung zu tragen", schreiben Obama und Hollande in einem gemeinsamen Essay. Es gibt keinen in Washington, der den Satz nicht als Wink mit dem Zaunpfahl versteht, vor allem gerichtet an Deutschland, nach amerikanischer Lesart Europas zögerndes Schwergewicht.

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