Weder Fisch noch Fleisch

Jeder von uns lebt in einer Gemeinde, jener Körperschaft des Staates, die dem Bürger am nächsten steht. Die Gemeinde verwaltet, sie baut Kindergärten, Schulen, Straßen, Schwimmbäder, Stadthallen und Kläranlagen. Das kostet Geld - mehr Geld, als die Gemeinden zur Verfügung haben. Und weil die Kämmerer seit Jahren nur noch schwarze Löcher sehen und immer weniger Mittel für Investitionen haben, leidet der örtliche Mittelstand, der von kommunalen Aufträgen lebt. Dies beschleunigt die bekannte Spirale: schlechte Bilanzen, weniger Arbeitsplätze, weniger Steuern, mehr Sozialhilfe, mehr Schulden. Bis heute war die Politik nicht in der Lage, ein vernünftiges System zur Finanzausstattung der Gemeinden zu entwickeln. Hauptgrund ist das aberwitzige deutsche Steuersystem, das in seiner Kompliziertheit an Einsteins Relativitätstheorie erinnert. Zwar sucht die Bundesregierung händeringend nach einer Lösung, zu der auch eine Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen beitragen sollte. Doch das zweijährige Gezerre der Interessenwahrer ging aus wie das Hornberger Schießen: viel Wind um Nichts. Der am späten Montagabend beim urlaubenden Kanzler in Hannover ausgeschwitzte Kompromiss verheißt den Kommunen zwar eine gewisse Verbesserung ihrer misslichen Lage, doch werfen die angepeilten Verschiebungen und Verrechnungsmöglichkeiten neue Probleme auf. Sicher, die rot-grünen Reformer haben sich Mühe gegeben, die Einnahmen der Kommunen zu steigern und zu verstetigen. Aber sie sind gescheitert an einem simplen Gesetz der Physik: Wenn eine Decke zu kurz ist, bleibt es gleich, an welcher Ecke man zieht - es wird stets eine neue Blöße offenbar. Das Hin- und Hergeschiebe und Umschichten mag im Einzelfall ja richtig sein; es trägt aber nicht zur Transparenz, sondern zur weiteren Verwirrung bei. Konkret wurde in Hannover vereinbart, den Kommunen jährlich insgesamt rund fünf Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen zu ermöglichen. Im Wesentlichen sollen dafür die großen Kapitalgesellschaften zahlen, die sich bisher mithilfe (legaler) Finanztricks arm rechnen konnten. Deren Verlustverrechnung wird nun gestreckt. Ferner sollen, das heikelste Kapitel, die Freiberufler und Selbständigen zur Gewerbesteuer heran gezogen werden - ein problematischer Ansatz, da Freiberufler nach höchstrichterlicher Auffassung keine Gewerbetreibenden sind. Da tröstet es kaum, dass sie ihre Mehrkosten mit der Einkommensteuer verrechnen dürfen. Zusätzlich verzichtet der Bund auf 1,4 Punkte Umsatzsteuer - Geld, das man sich durch den Hartz-Prozess der Verschmelzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wieder beschaffen will. Auch die Kommunen sollen vom "Effizienzgewinn" dieser Maßnahme profitieren. Alles in allem durchaus ein Programm - zur Sicherung der Bürokratie. Abermals präsentieren die rot-grünen Finanzreformer einen Steuerentwurf, der nicht Fisch ist und nicht Fleisch. Gut, den Kommunen wird geholfen, doch zu welchem Preis? Es wird spannend sein zu beobachten, ob die Länder diese Finanz-Rochade mitmachen werden. Wichtig wäre der Mut, das ewige Ärgernis Gewerbesteuer abzuschaffen und durch ein intelligentes und transparentes System (zum Beispiel in Form eines Zuschlags auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer) zuersetzen. nachrichten.red@volksfreund.de

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