Weißer Schal und rote Kritik

Im Vorfeld hatte das Treffen von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) mit dem Dalai Lama schon für Wirbel gesorgt. Gestern trafen die beidem Im Berliner Hotel Adlon zusammen

Berlin. In letzter Minute versucht SPD-Fraktionsvize Walter Kolbow das Treffen von Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) mit dem Dalai Lama noch herunterzuspielen. Das sei "rein privater Natur", sagt er am Montag im Frühstücksfernsehen. Die Ministerin reagiert darauf pampig: "Natürlich treffe ich ihn auch als Vertreterin der Bundesregierung. Ich bin ja schließlich deren Mitglied." Wieczorek-Zeul versteckt ihre Aktion nicht. Im Gegenteil. Im Hotel "Adlon" hat sie einen Raum für einen Fototermin reservieren lassen. Lächelnd tritt sie zusammen mit dem Dalai Lama vor die vielen Kameras und lässt sich von dem Gast einen weißen Schal umlegen. Der Eklat ist perfekt. Wieczorek-Zeul hat damit vor allem Außenminister Frank-Walter Steinmeier getroffen. Der hatte vor einem halben Jahr Merkels Treffen mit dem geistigen Oberhaupt der Tibeter als "Schaufensterpolitik" kritisiert. Monate hatte es ihn gekostet, den Gesprächsfaden mit der beleidigten Pekinger Führung wieder anzuknüpfen. Und jetzt fällt ihm eine Genossin in den Rücken. Noch dazu ohne Absprache. Sein Sprecher Martin Jäger zeigt das Missfallen des Auswärtigen Amtes. "Dass der Dalai Lama heute in Berlin ist, ist uns bewusst. Dass es ein Treffen gegeben hat, haben wir zur Kenntnis genommen", sagte er spitz. Ähnlich SPD-Generalsekretär Hubertus Heil: "Jeder hat das Recht, seine eigenen Termine zu machen. Man muss nur wissen, was das auslöst." Wieczorek-Zeul redet 45 Minuten mit dem Tibeter. Im Hotel, nicht in einem Regierungsgebäude. Das ist die einzige Konzession, die sie macht. Die Ministerin nennt den Dalai Lama hinterher "eine Persönlichkeit, die die Welt braucht". Und sie betont: "Menschenrechte sind die Richtschnur unseres Handelns". Also nicht diplomatische Rücksichtnahmen. Fragen nach der Kritik aus ihrer eigenen Partei wehrt sie ab. Vor allem die nach ihrem Vorsitzenden Kurt Beck, der das Treffen als "Scheiß" bezeichnet haben soll. Sie habe deswegen mit Beck telefoniert, sagt sie. Mehr nicht. Der sozialdemokratische Eiertanz steht in starkem Kontrast zur Selbstverständlichkeit und Sympathie, mit der die Hauptstadt den Friedensnobelpreisträger empfängt. Viele Parlamentarier aus dem Auswärtigen und dem Menschenrechtsausschuss sowie Spitzenpolitiker der Grünen haben kein Problem damit, mit dem Mann zu reden. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) veröffentlicht immerhin ein Grußwort und stellt dem Gast eine Polizei-Eskorte sowie Bodyguards zur Verfügung. Der Pariser Platz ist den ganzen Tag voll mit Exil-Tibetern, die mit Räucherstäbchen und rot-blauen Sonnenflaggen auf ihr Idol warten. Eine angekündigte Gegendemonstration von Chinesen vor dem Reichstag bleibt ohne große Resonanz. Kaum zwei Dutzend versammeln sich hinter ein paar Transparenten. Am Brandenburger Tor findet am Abend eine große Tibet-Kundgebung statt. Das wird zwar nicht gleich das von Berliner Boulevard-Zeitungen angekündigte "Tibet-Woodstock", aber über 20 000 Menschen kommen. Moderator Franz Alt kritisiert die Politiker, die sich weigern, den Dalai Lama zu empfangen. "Wenn erst die chinesische Politik bestimmt, wen unsere Politiker treffen und wen nicht, dann haben die Menschenrechte schon verloren". Auf Plakaten werden Steinmeier, Beck, aber auch Bundespräsident Horst Köhler deswegen angegriffen. Es ist die größte Kundgebung bei der fast einwöchigen Reise des Dalai Lama durch Deutschlands. Das 21. Jahrhundert müsse, sagt er, das Jahrhundert des Dialogs werden. Er sagt es fast zentimetergenau dort, wo einst die Mauer stand, die 1989 gewaltlos fiel.

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