Weniger Druck, mehr Zeit, mehr Anerkennung

Trier · Mit der ersten Pflegekammer in Deutschland ist Rheinland-Pfalz Wegbereiter für mehr Selbstbestimmung im Pflegeberuf. Die Wahl für die 81 Mitglieder der Vertreterversammlung hat begonnen. Bis zum 11. Dezember können die 26 000 registrierten der 40 000 professionellen Pflegekräfte im Land abstimmen.

Trier. Um Probleme zu beschreiben, sind starke Bilder wichtig. So verglich die Sozialdezernentin des Eifelkreises Bitburg-Prüm, Gisela Mayer-Schlöder, das Personalproblem in der Pflege jüngst bei einer Veranstaltung an der Universität Trier im Rahmen der Demografiewochen mit einem Tsunami, einer riesigen Welle, die vor allem über die ländlichen Regionen des Landes hereinbrechen könnte, mit katastrophalen Folgen für die Menschen (TV vom 11. November). Unter Zustimmung der anderen Experten bei der Tagung "Herausforderung Pflege" forderte sie eindringlich Veränderungen, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Bessere Bezahlung, mehr gesellschaftliche Anerkennung und eine Abkehr von der Pflege nach häufig zu engen Zeitvorgaben seien dafür Eckpunkte. All das sind Dinge, für die sich in Zukunft die Pflegekammer Rheinland-Pfalz starkmachen will. "Mit ihrer Kammer können die Pflegekräfte ihren Beruf in Selbstverwaltung eigenständig regulieren", versichert Markus Mai, Vorsitzender des Gründungsausschusses. Wesentlich sei zum Beispiel die Erstellung einer Berufsordnung, die Entwicklung von Fort- und Weiterbildungsgrundlagen und die Etablierung beruflicher Standards. Die neue Berufsordnung werde so etwas wie das Grundgesetz der pflegerischen Berufsausübung sein. Die voraussichtlich 81 Mitglieder der Vertreterversammlung werden sich auch mit Fragen der Ethik befassen. Damit gesetzliche und auch tarifpolitische Schrauben neu justiert werden, muss die Pflegekammer aber auch nach außen wirken. Zumindest bei den großen Parteien in Rheinland-Pfalz stößt sie auf offene Ohren. Denn alle derzeit im Landtag vertretenen Fraktionen haben vor vier Jahren den Weg für die neue Standesvertretung freigemacht. "Die CDU-Landtagsfraktion hat sich über viele Jahre hinweg für die Einrichtung einer landesweiten Pflegekammer eingesetzt", sagt Heidi Thelen, sozialpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion. "Die Pflegeberufe bedürfen einer gebündelten, koordinierten Vertretung, die nur so erreicht werden kann. Dadurch haben die Pflegenden eine starke Stimme, und es kann eine Qualitätssteigerung erreicht werden." Arbeitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler äußerte sich am Dienstag bei der Auftaktveranstaltung zum Modellprojekt "Führung im Krankenhaus in Rheinland-Pfalz" auch zu den Herausforderungen in der Pflege: "Neben der Steigerung der Ausbildungszahlen in den Pflegeberufen müssen wir unser Augenmerk vor allem auf gute Arbeitsbedingungen für die bereits in der Pflege tätigen Menschen richten."Altenpflege, Gesundheitspflege, Kinderkrankenpflege, Intensivpflege. Wer in Rheinland-Pfalz in diesen Bereichen professionell arbeitet, wird per Landesgesetz zur Mitgliedschaft in der neuen Kammer verpflichtet und muss einen Pflichtbeitrag entrichten. Wie hoch der sein wird, steht noch nicht fest. Laut Markus Mai soll er aber sozial gestaffelt und deutlich weniger als ein Prozent des Gehalts betragen. Thomas Greiner, Präsident des bundesweit aktiven Arbeitgeberverbands Pflege (AGVP), rechnet mit einem Monatsbeitrag von zehn Euro. Der AGVP vertritt die Interessen von 46 privaten Alten- und Pflegeheimen in Rheinland-Pfalz und ist strikter Gegner der Pflegekammer. Die Daten der rund 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden mit Verweis auf den Datenschutz nicht weitergegeben. Heftige Kritik an der Pflegekammer übt auch der Bundesverband Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (bad), der in Rheinland-Pfalz die Interessen von 80 Pflegeeinrichtungen überwiegend privater Träger vertritt. Referent Michael Greiner: "Wir sind sicher, dass die Einführung der Pflegekammer nicht die drängenden Probleme - wie etwa den Fachkräftemangel - lösen wird. Letztlich befürchten wir, dass mit der Kammer ein bürokratisches Ungeheuer entsteht, das außer Spesen kaum etwas Zählbares vorweisen wird." Extra

Rheinland-Pfalz finanziert den Aufbau der Landespflegekammer mit insgesamt 500 000 Euro. Das hat das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie auf TV-Anfrage mitgeteilt. Die Aufbauarbeit beinhalte "unter anderem die Registrierung aller Pflegekräfte, die Erstellung einer vorläufigen Satzung sowie der notwendigen Ordnungen, die erste Kammerwahl und anschließend die Einberufung, Vorbereitung und Organisation der ersten Vertreterversammlung." In der Gründungsphase zahlt das Land auch Sachkosten wie Mieten für Verwaltungsräume, Porto, EDV und ähnliche Dinge. Sobald die Kammer offiziell gegründet ist, trägt sie sich aus Mitgliedsbeiträgen. r.n. Extra

Die Landespflegekammer soll zentrale Anlaufstelle für die Pflegenden in Rheinland-Pfalz sein. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts, die der Rechtsaufsicht des Sozialministeriums unterstellt ist, soll sie Ansprechpartner in allen beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Belangen sein. Geplanter Sitz ist Mainz. Die Wahl zu der Vertreterversammlung endet am 11. Dezember. 17 Listen stehen zur Auswahl. Die Pflegekammer wird im Januar 2016 ihre Arbeit aufnehmen. r.n. 100prozent-pflegekammer.de

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