Wenn der "große Bruder" wacht

Täglich schwirren Milliarden Daten durch die Welt. Menschen werden fotografiert, gefilmt und auf Speicherchips gebannt. Doch was geschieht mit Angaben auf Kundenkarten oder den Dateien von Videos, die demnächst in Zügen entstehen? Der Datenschutzbeauftragte des Landes warnt vor Gefahren und Auswüchsen.

Mainz. Daten, Daten, Daten, die Welt besteht aus Daten. Wer sie sind, was sie kaufen, was sie nicht mögen - solche persönlichen Angaben machen viele Verbraucher auf der Jagd nach Preisnachlässen, ohne sich etwas dabei zu denken. In Deutschland gibt es rund 200 Millionen Kundenkarten von Kaufhäusern und Geschäften. In sozialen Netzwerken im Internet wie "Wer-kennt-wen" oder "Facebook" sind selbst freizügigste Urlaubsfotos zu bestaunen. Spätestens bei der Suche nach einem neuen Job könnte dann eine böse Überraschung drohen. "Den meisten Leuten ist gar nicht bewusst, dass ein Drittel aller Personalleiter in Deutschland von Bewerbern Internetprofile anfertigen lässt", sagt der Datenschutzbeauftragte des Landes, Edgar Wagner.

Verbraucher fürchten sich vor Datenmissbrauch



Nach den jüngsten Datenskandalen wie bei der Telekom wächst bei Verbrauchern die Sorge vor Datenmissbrauch. Wagner erzählt, er werde oft gefragt, ob die größte Gefahr vom Staat oder von der Wirtschaft drohe. "Ich antworte dann immer, die größte Gefahr ist ihre eigene Nachlässigkeit." Eine funktionierende Partnerschaft basiere auf der Balance zwischen Geheimnis und Offenheit, argumentiert Wagner. Daran müsse man sich erinnern, anstatt allzu freizügig etwas von sich zu verraten.

In manchen Bereichen sind allerdings schon jene Visionen Realität geworden, die der Schriftsteller George Orwell in seinem Buch "1984" von einem Überwachungsstaat entworfen hat. Big Brother, der "große Bruder", wacht in Einkaufszentren, Schulen, staatlichen Gebäuden wie dem Landtag und dem Abgeordnetenhaus in Mainz und demnächst in Regionalzügen der Deutschen Bahn. Prinzipiell sieht der Datenschutzbeauftragte durchaus Vorteile einer Video-Überwachung. So könnten die jährlichen Millionenschäden durch mutwillige Zerstörungen eingedämmt werden. Doch Edgar Wagner fragt sich auch, wer die Kontrolleure kontrolliert. Sie sind gesetzlich verpflichtet, die Aufnahmen nach wenigen Tagen zu löschen. Ob sie sich daran halten, bleibt offen.

Auf politischer Ebene ist jüngst ein Thema aufgetaucht, das viele Menschen offensichtlich beunruhigt: Der Internet-Konzern Google fährt mit Autos durch das Land, auf denen Kameras installiert sind. Sie schießen scharfe und detailreiche Bilder, die demnächst im Netz zu sehen sein sollen. "Es mag ja vorteilhaft sein, dass ich eine virtuelle Reise am Computer unternehmen kann, um etwa herauszufinden, wie es mit der Barrierefreiheit an manchen Orten aussieht", sagt Edgar Wagner. Gleichwohl sei zu befürchten, dass auch Privates an die Öffentlichkeit gelange. Millionen von Daten würden digitalisiert und in die USA geschickt, wo sie nicht kontrollierbar seien.

Die Landesregierung reagiert nun, obwohl der zuständige Hamburger Datenschützer mit Google Deutschland Vereinbarungen getroffen hat, die allgemein akzeptiert werden. Nach TV-Informationen hat der Ministerrat das Justizministerium beauftragt, ein Rechtsgutachten zu erstellen, in dem geprüft wird, ob das Vorgehen Googles zulässig ist. Grundsätzlich können sich Betroffene nur dagegen wehren, dass ihre Häuser im Internet zu sehen sind, wenn sie selbst aktiv werden und Widerspruch einlegen. Es müsse aber genau andersherum sein, nämlich dass Betroffene ihr Einverständnis zur Veröffentlichung geben, sagt Wagner. Er fordert generell eine politische Diskussion in Deutschland mit dem Ziel, die persönlichen Rechte der Menschen - auch im Internet - stärker zu schützen.

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