Wenn der Mieter bar bezahlt

TRIER. Zurück in die Zukunft: Mieter in Nordrhein-Westfalen können ihre Wohnungen jetzt wieder in bar bezahlen. Ihre Wohnungsgenossenschaft reagiert damit auf ein Problem: Immer mehr Deutsche erhalten kein Giro-Konto. Fast immer zu Unrecht, behaupten Schuldnerberater. Die Banken wehren sich.

Marius Stark erzählt ein Beispiel, um die Dimensionen des Problems zu schildern. "Stellen Sie sich vor", sagt der Sprecher der Arbeitsgemeinschaften der Schuldnerberatungen der Verbände (AGSBV), "Sie wollen eine Wohnung mieten und sagen dem Vermieter, dass Sie kein Konto haben. Oder sie erzählen das einem Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch. Schon ist das Urteil über Sie gefällt." Rund 500 000 Deutsche stehen dem AGSBV zufolge vor solchen Problemen: Banken haben ihnen ihr Konto gekündigt oder weigern sich, eines einzurichten. Der Hauptgrund: Überschuldung – oder die Angst davor. Denn kommt es zur Konto-Pfändung, bedeutet das für die Bank einen erheblichen Mehraufwand. Neben Arbeitslosen und Sozialhilfe-Empfängern seien zunehmend auch andere Bevölkerungsgruppen wie Selbständige betroffen, sagt Stark. "Wir haben es keinesfalls mit einem vereinzelten Problem zu tun." Wer kein Konto hat, ist nicht nur gesellschaftlich isoliert – auf ihn kommen auch zusätzliche finanzielle Belastungen zu: Denn wer Geld einzahlt, um es etwa an die Stadtwerke zu überweisen, muss mit deutlich höheren Gebühren rechnen als bei einen Transfer vom Giro-Konto. Angesichts solcher Probleme gibt es für den AGSBV nur eine Lösung: allen Bundesbürgern per Gesetz zu dem Recht zu verhelfen, dass sie ein Giro-Konto auf Guthaben-Basis eröffnen können – will heißen: ein Konto, das nicht überzogen werden darf. Das ist zwar in einigen Bundesländern, darunter Rheinland-Pfalz, für die Sparkassen bereits vorgeschrieben, und die übrigen Banken haben sich eine entsprechende Selbstverpflichtung auferlegt. "Aber wir wissen, dass das überhaupt nicht funktioniert", sagt Sylvia Beckerle, Referentin für Finanzdienstleistungen bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Marius Stark vom AGSBV geht davon aus, dass Konten nur in sieben Prozent der Fälle zu Recht verweigert werden. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Interessent das Bankpersonal unflätig behandelt. Beim Bundesverband deutscher Banken weist man alle Vorwürfe von sich. Die freiwillige Verpflichtung funktioniere, sagt Sprecher Oliver Wolfrum. Von einer gesetzlichen Vorgabe für alle Institute will er deshalb nichts wissen: "Wir sind der Auffassung, dass wir keine neue Bürokratie brauchen." Im übrigen halte er prinzipiell ein Gesetz für problematisch, das Banken zwinge, gegen ihren Willen Handelsbeziehungen einzugehen. Was tun, wenn die Bank ein Konto verweigert? "Auf das Sparkassengesetz beziehungsweise die Selbstverpflichtung verweisen", empfehlen Stark und Beckerle. "Darum bitten, dass die Ablehnung schriftlich begründet wird. Und sich Beschwerde-Möglichkeiten erklären lassen." Der Bundesverband deutscher Banken beschäftigt einen Ombudsmann für solche Fälle. Auch Verbraucherzentralen und Schuldnerberatungsstellen helfen weiter. Sylvia Beckerle geht davon aus, dass sich die Zahl der Deutschen ohne Konto durch "Basel II", die neuen Regeln für den Finanzsektor, erhöhen könnte: "Die Vorgaben werden noch strikter." Und die Auswirkungen der Sozialreform Hartz IV sind noch nicht abzusehen. In Nordrhein-Westfalen, berichtet Marius Stark, habe eine große Wohnungsgesellschaft bereits auf das zunehmende Problem reagiert: "Dort können die Leute ihre Mieten wieder bar zahlen."

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