Wenn die Farben neu gemischt werden

Die Wahl zur Hamburger Bürgerschaft ist eigentlich ein kommunales Ereignis. Nur knapp zwei Prozent der deutschen Bevölkerung sind an diesem Sonntag aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Bedeutung ihrer Entscheidung reicht trotzdem über die Grenzen der Elbmetropole hinaus.

Hamburg. "Es geht zuerst um Hamburg, es geht aber auch um Deutschland", meinte FDP-Chef Guido Westerwelle. In der Hansestadt wird dann auch entschieden, ob sich die Republik weiter rot färbt und die klassische Farbenlehre für Koalitionsbildungen endgültig ausgedient hat. Nach Lage der Dinge sind beide Szenarien realistisch. Vor vier Jahren war die damalige PDS noch gar nicht zur Wahl in der Hansestadt angetreten. Mittlerweile in "Linke" umgetauft, prophezeien ihr die Demoskopen nun einen Zuspruch zwischen sechs und acht Prozent. Selbst über ein zweistelliges Ergebnis wird schon orakelt. Nach Bremen, Niedersachsen und Hessen wäre Hamburg das vierte Altbundesland mit dunkelroter parlamentarischer Präsenz. Dabei war die Linke im Hamburger Wahlkampf kaum wahrnehmbar. Ihre Spitzenkandidatin, Dora Heyenn, kennen die wenigsten Hansestädter. Die Lehrerin für Biologie und Chemie war 28 Jahre lang Mitglied der SPD und saß für die Sozialdemokraten sogar im Kieler Landtag. 1999 verließ sie die Partei. Auch die übrigen Links-Kandidaten haben zum Teil eine SPD- oder DKP-Vergangenheit, oder sie kommen aus den Gewerkschaften.CDU-Alleinherrschaft scheint ausgeschlossen

Auf Platz zehn der Landesliste steht der DKP-Landeschef Olaf Harms. Falls die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, was nach allen Vorhersagen zu erwarten ist, reichen den Linken schon etwa sieben Prozent der Wählerstimmen, um den Sprung von Harms in die Bürgerschaft sicherzustellen. Nach der niedersächsischen Abgeordneten Christel Wegner wäre Harms das zweite DKP-Mitglied in einem deutschen Landesparlament. Eine Fortsetzung der CDU-Alleinherrschaft im Hamburger Rathaus scheint praktisch ausgeschlossen. Auch für eine rot-grüne Mehrheit wird es kaum reichen. Nach den letzten Umfragen landet die Union bei 40 bis 41 Prozent (2004: 47,2 Prozent), die Sozialdemokraten kommen auf etwa 35 Prozent (2004: 30,5), die Grünen liegen bei rund zehn Prozent (2004: 12,3), und die Liberalen schaffen vier Prozent (2004: 2,8). Rechnerisch möglich wäre demnach eine schwarz-grüne Regierung, für die CDU-Spitzenkandidat Ole von Beust schon vor Wochen geworben hatte. Auch die Grünen sind nicht abgeneigt. Es wäre das erste schwarz-grüne Bündnis auf Landesebene. Dadurch könnten auch die Karten für die nächste Bundestagswahl neu gemischt werden. Denn die CDU wäre dann nicht nur auf die FDP als Partner fixiert. Und für die SPD wäre Rot-Grün kein Naturgesetz mehr. Ansonsten bliebe in Hamburg noch die Große Koalition als Notlösung. Die Fronten zwischen Schwarz und Rot sind an der Elbe jedenfalls deutlich weniger verhärtet als in Hessen. Von Beust und der SPD-Spitzenkandidat, Michael Naumann, schätzen Sachlichkeit und zivilisierte Umgangsformen. Der heftig umstrittene Kursschwank von Parteichef Kurt Beck, eine SPD-geführte Regierung in Wiesbaden notfalls unter Mithilfe der Linken zu installieren, beflügelt allerdings auch die Fantasie für Hamburg. Die Liberalen warnen schon mal vor einem Domino-Effekt. Auch in der SPD selbst sind viele über Becks Sinneswandel entsetzt. So könnten die Sozialdemokraten in Hamburg noch auf der Zielgeraden spürbar an Boden verlieren. In diesem Fall hätte Beck ein massives Problem. extra Wähler brauchen massenweise Zettel: Sie sehen aus wie Mülltonen, nur sind sie weiß und rot: die neuen Wahlurnen in Hamburg. Dorthinein werfen die Wähler ihre Stimmzettel, wenn sie sie ausgefüllt haben. Dass es neue, viel größere Wahlurnen gibt, hat einen Grund. In Hamburg gilt bei der Wahl am 24. Februar ein neues Wahlrecht. Die Leute haben nicht mehr nur eine Stimme für das Landesparlament, sondern gleich sechs. Außerdem sollen sie an dem Tag auch noch die Bezirksversammlungen wählen. Dadurch wird ein Wähler mit Stimmzetteln und Erklärungen bis zu 64 Seiten in die Wahlurne schmeißen. Und das bei 1,2 Millionen Menschen, die wählen gehen dürfen! Wenn eine Tonne mit Stimmen prall gefüllt ist, wird sie etwa 110 Kilogramm wiegen - also mehr als ein Motorrad. Noch ein paar Zahlen mehr? Von den Wahl-Tonnen gibt es nämlich 3500. Zusammengerechnet ergibt das ein Gewicht von 385 000 Kilogramm, wenn alle Tonnen voll sind. Die Wählerstimmen könnten also ungefähr so schwer wie 128 Traktoren sein.

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