Wenn mehr weniger ist

BERLIN. Mehr kann manchmal auch weniger sein. Gemessen an den Rekordpreisen für Benzin und Diesel müsste bei Finanzminister Hans Eichel (SPD) eigentlich die Kasse klingeln. Aber genau das Gegenteil ist der Fall.

Im Vergleich zum Vorjahr sind die Einnahmen bei der Mineralölsteuer deutlich zurückgegangen. Während der April einen Einbruch um 6,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat bescherte, waren es im Juli sogar minus 10,3 Prozent. Insgesamt fiel das Mineralölsteueraufkommen bis zur Jahresmitte mit 18,4 Milliarden Euro um vier Prozent niedriger aus als 2003. Ob diese Entwicklung in erster Linie auf ein sparsameres Verhalten oder auf den vermehrten Tanktourismus der Verbraucher zurückgeht, ist bei Experten umstritten. Fest steht, dass Autofahrer im Juli durchschnittlich 1,17 Euro für den Liter Superbenzin hinblättern mussten. Das waren 8,8 Prozent mehr als zu Jahresbeginn. Auch beim Diesel hat der hohe Ölpreis seine Spuren hinterlassen. In den ersten sieben Monaten stiegen die Kosten für den Verbraucher um 7,2 Prozent pro Liter. Da dürfte mancher PKW-Enthusiast auch mal sein Fahrzeug stehen lassen. Für den Bundesverband freier Tankstellen ist dieser Aspekt allerdings von nachrangiger Bedeutung. Die allgemeine Konjunkturschwäche mache sich natürlich auch an Zapfsäulen bemerkbar, sagt Hauptgeschäftsführer Axel Graf Bülow. Den "Löwenanteil" führt der Verbandsfunktionär jedoch auf Tank-Fahrten nach Luxemburg, Tschechien oder Polen zurück, wo der Liter Sprit zum Teil um 30 Cent billiger zu haben ist. Nach italienischem Vorbild habe sein Verband deshalb auch ein Chipkarten-Modell vorgeschlagen, das Autofahrern im grenznahen Raum erlaube, sich an deutschen Tankstellen zu Preisen wie im Nachbarland zu versorgen. Nach Angaben Bülows könnte der Bundesfinanzminister auf diese Weise seine Mineralölsteuereinnahmen um 500 Millionen Euro pro Jahr aufbessern. Beim Mineralölwirtschaftsverband (MWV), der fast 60 Prozent der einheimischen Tankstellen vertritt, gibt es jedoch starke Zweifel, ob eine solche Lösung überhaupt mit deutschem Recht vereinbar wäre. Sinnvoller, so eine Sprecherin, sei eine steuerliche Harmonisierung in Europa. Das Bundesfinanzministerium gibt sich unterdessen gelassen. Der Tanktourismus schlage sich nur marginal beim Steueraufkommen nieder, heißt es aus der Pressestelle von Hans Eichel. An Gegenmaßnahmen sei nicht gedacht. Auch eine Senkung der Abgaben komme nicht in Frage. Pro Liter Benzin sind gegenwärtig immerhin rund 50 Cent Mineralölsteuer plus 15 Cent Ökosteuer fällig. Und auf den Gesamtpreis schlägt obendrein noch die Mehrwertsteuer zu Buche. Ohne diese staatlichen Aufschläge würde zum Beispiel der Liter Normalbenzin aktuell nur knapp 36 Cent kosten. Die Grünen sehen sich durch die derzeitige Kaufzurückhaltung an den Zapfsäulen naturgemäß bestätigt. Der hohe Benzinpreis entfalte durchaus eine Lenkungswirkung, befindet die grüne Haushaltspolitikerin Antje Hermenau. Und ihre Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig meint, die Verbraucher müssten sich halt darüber im Klaren sein, dass Öl nun mal "ein endlicher Stoff" sei.

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