Wenn Menschen sich Beihilfe zur Selbsttötung wünschen

Berlin · Der Deutsche Bundestag will am Freitag darüber entscheiden, ob und wie die Beihilfe zum Suizid rechtlich geregelt werden soll. Zwar zeichnen sich Abstimmungsmehrheiten ab. Der Ausgang ist aber völlig ungewiss.

Berlin. Für Bundestagspräsident Norbert Lammert ist es das "vielleicht anspruchsvollste Gesetzgebungsprojekt dieser Legislaturperiode". Der Bundestag will am Freitag darüber entscheiden, ob die Beihilfe zur Selbsttötung künftig rechtlich geregelt werden soll. Zur Frage steht dabei, "wie der Staat seine unaufgebbare Verpflichtung zum Schutz des Lebens und zum Schutz der Menschenwürde auch und gerade gegenüber dem sterbenden Menschen wahrnehmen kann", so Lammert.

Sensibilisiertes Parlament


Die Selbsttötung ist in Deutschland ebenso wenig verboten wie die Beihilfe dazu. Allerdings haben die Aktivitäten von Sterbehilfeorganisationen - die Schweizer Dignitas oder der Verein Sterbehilfe Deutschland des früheren Hamburger Justizsenators Roger Kusch — die Parteien und den Bundestag für das Thema sensibilisiert. Immer wieder gab es Vorschläge aus Bund und Ländern, zumindest die auf Gewinn ausgerichteten Angebote zum Suizid zu verbieten - bislang ohne Erfolg.
Diesmal haben sich die Fraktionen in dieser ethisch brisanten Frage darauf geeinigt, den üblichen Fraktionszwang aufzuheben. Ferner fand erstmalig im Bundestag eine Orientierungsdebatte statt. Zudem will der Gesetzgeber die Versorgung von Schwerstkranken und Sterbenden durch eine Stärkung der Palliativmedizin und Hospizarbeit verbessern. Der Bundestag will das dazu notwendige Gesetz bewusst an diesem Donnerstag, also am Tag vor der Entscheidung über die Suizidbeihilfe, beschließen.
Bei der Suizidbeihilfe liegen den Abgeordneten vier Gesetzentwürfe vor: Abgeordnete um Patrick Sensburg (CDU) treten für ein völliges Verbot der Beihilfe ein. Eine Gruppe um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) fordert ein Verbot jeder organisierten und auf Wiederholung angelegten Beihilfe. Demgegenüber wollen Parlamentarier um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) allein die auf Gewinn angelegte Suizidbeihilfe verbieten, ansonsten aber günstige Rahmenbedingungen für die Beihilfe schaffen. Und Abgeordnete um Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) möchten Ärzten die Beihilfe unter bestimmten Bedingungen ausdrücklich erlauben.
Durch die beiden zuletzt genannten Entwürfe stellt sich die Frage, ob Ärzte künftig professionelle Sterbehelfer werden könnten. Letztlich, so die Befürchtung, könnte die Bereitstellung des Giftes zu einer Kassenleistung werden. Die Mehrheit der Ärzte, allen voran ihr Präsident Frank-Ulrich Montgomery, lehnen dies entschieden ab. Kritiker warnen zudem vor einem Dammbruch: Sterbende kämen in Entscheidungs- und Begründungszwänge für ihr Weiterleben - zumal in einer alternden Gesellschaft. Und nicht nur die Kirchen befürchten einen Mentalitätswandel auf Kosten der Schwächsten. Dem halten Künast und Hintze das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen auch am Lebensende entgegen. Jeder selbst könne entscheiden, das Leben zu beenden, wenn es wegen Schmerzen oder psychischen Drucks unerträglich werde.
Die Abstimmung im Bundestag soll nach dem Stimmzettel-Verfahren laufen.
Und so wird abgestimmt


Dabei scheiden jeweils die Vorlagen mit der geringsten Zustimmung aus, bis schließlich noch ein Gesetzesvorschlag übrig bleibt. Die größten Aussichten werden der Vorlage von Brand/Griese gegeben. Sie müsste dann in der letzten Abstimmungsrunde aber auch eine Mehrheit an Ja-stimmen erhalten. Bei diesem Verfahren könnte paradoxerweise schließlich sogar ein Ergebnis am Ende der langen Debatte stehen, das die Grünen-Abgeordnete Katja Keul von Anfang an anstrebt: Sie fordert in einem eigenen Antrag, von einer rechtlichen Regelung abzusehen und alles beim Alten zu belassen. Das wäre der Fall, wenn in der Schlussabstimmung die Neinstimmen die Mehrheit erhalten. Künast und Hintze haben bereits deutlich gemacht, dass sie lieber keine Regelung als eine strafrechtliche wollen. Damit stünde am Ende des jahrelangen Ringens wieder die ursprüngliche Frage zur Entscheidung an: Sollen Sterbehilfevereine ein Geschäft mit dem Tod betreiben dürfen, oder hat der Staat eine Schutzpflicht?

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