Wenn Welten kollidieren

TRIER. Das Erste Trierer Schwurgericht verhandelte dieser Tage einen Fall, der wie in einem Brennglas die Probleme und Mentalitäts-Unterschiede zwischen manchen Übersiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion und dem deutschen Rechtssystem widerspiegelt.

Da stehen sie in der Verhandlungspause, wortlos, und teilen sich den Steh-Aschenbecher auf dem trostlosen Gerichtsflur. Vor ein paar Monaten hätten sich die beiden Männer, nennen wir sie Eugen und Vitali, fast gegenseitig umgebracht. Nicht nur außerhalb des Gerichtssaals wirken sie schweigsam; auch bei der Befragung durch das Gericht ist von Redefluss wenig zu spüren. Eugen ist angeklagt, Vitali ist Opfer und Nebenkläger - in diesem Prozess. In ein paar Wochen könnte es einen weiteren Prozess geben mit der umgekehrten Konstellation. Die Staatsanwaltschaft will vor der möglichen Anklage-Erhebung gegen Vitali den Ausgang dieses Verfahrens abwarten. Eine vertrackte Situation. Die Geschichte von Eugen und Vitali spielt im Eifelstädtchen Hillesheim. Eigentlich beginnt sie in den Neunzigern, als beide Männer unabhängig voneinander von Kasachstan nach Deutschland übersiedeln, mit der deutschen Staatsbürgerschaft versehen, aber nicht mit nennenswerten Sprachkenntnissen. Vitali bringt seine Frau mit, eine Russin. Ohne ihn müsste sie sofort ausreisen - eine Abhängigkeit, auf deren Basis Ehen schlecht gedeihen. Er beginnt zu trinken, kommt schon mal auf sechs Flaschen Sekt am Stück, nebst Wodka. Daheim in Kasachstan sei das nicht so gewesen, da habe er auch noch einen Garten gehabt, erzählt er zur Verblüffung des Gerichts. Als seine Frau ein eigenes Bleiberecht erworben hat, zieht sie aus. In ihrer neuen Wohnung geht bald Vitalis Nachbar Eugen ein und aus. Erst als Umzugshelfer, dann als Lebensgefährte. Aber auch der Kontakt zu Vitali reißt nicht ab. Als sie mit ihm auf Heimaturlaub nach Kasachstan fliegt, schlägt Eugen ihre Wohnung kurz und klein.Eskalation im merkwürdigen Dreiecksverhältnis

Das merkwürdige Dreiecksverhältnis eskaliert, als Vitali, heftig betrunken, im September 2003 mit einem 25-Zentimeter-Dolch in die Wohnung seiner Frau stürmt und Eugen eine stark blutende Hiebwunde auf den Nasenrücken beibringt. Der Angegriffene schlägt ihn zu Boden, prügelt ihn bis zur Bewusstlosigkeit und stößt seinen Kopf immer wieder auf den Boden, zertrümmert Knochen des Gesichts. Selbst als die inzwischen alarmierten Sanitäter den Schwerstverletzten abholen, tritt er noch mit Füßen nach Vitali. Der Staatsanwalt klagt Eugen wegen versuchten Totschlags an; seine Handlung sei, anders als die Verteidigung meint, keine exzessive Notwehr. Später mildert sie den Vorwurf wegen seines "freiwilligen Rücktritts von der Tötung" auf gefährliche Körperverletzung ab, das Gericht verurteilt Eugen letztlich zu vier Jahren Haft. Aber das Urteil ist nicht das Auffällige in diesem Verfahren. Die Kammer spricht in ihrer Begründung von "fremder Mentalität" und "Emotionslosigkeit, die wir nicht nachvollziehen können". Unglaubliche Alkohol-Exzesse, zertrümmerte Wohnungseinrichtungen, Messer-Attacken: Der Angeklagte und sein Kontrahent erzählen davon, als ginge es um Belanglosigkeiten. Ob er böse auf Eugen sei, wird Vitali gefragt. "Nein", ist seine Antwort, der sei ihm gleichgültig. Über Eugen erzählt der psychiatrische Gutachter, er habe sich fast darüber amüsiert, dass man ihm wegen einer solchen Lappalie "einen Irrenarzt auf den Hals schickt". Man wird den Eindruck nicht los, beiden Männern wäre es am liebsten, die Justiz hielte sich aus ihren lebensgefährdenden Revierkämpfen heraus. Die Kammer aber lässt sich auf rechtsfreie Räume nicht einmal im Ansatz ein. Dafür steht zu viel auf dem Spiel.

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