Wer führt eigentlich?

Willkommen im Hier und Jetzt. Nach der gestrigen Morgenlektüre der Zeitungen müssen sich die Koalitionsspitzen wie verprügelt fühlen. Das öffentliche Echo auf ihren "Durchbruch" bei der Gesundheitsreform war verheerend.

Zu Recht. Wer geglaubt hat, die große Koalition ist zu ebenso großen Würfen fähig, wer sich das von den Regierenden hat einreden lassen, der muss spätestens jetzt einsehen: Diese Koalition ist eine Enttäuschung. Vor allem, weil diese Koalition nicht wirklich geführt wird. Die Schönredner wollen einem ja immer noch anderes weiß machen, doch die Realität hat sie längst eingeholt: Kanzlerin Angela Merkel, SPD-Chef Kurt Beck und CSU-Chef Edmund Stoiber. Von Handlungsfähigkeit und zukunftsträchtigen Schritten war gestern bei ihrem gemeinsamen Auftritt die Rede. Das zeugt von einer gewissen Dreistigkeit - man würde sie am liebsten rütteln und schütteln, damit sie wach werden. Denn Fakt ist: Zum 1. Januar 2007 wird die Mehrwertsteuer erhöht, die Bezugsdauer des Kindergeldes gekürzt, werden die Pendlerpauschale zusammengestrichen, die Rentenversicherung teurer und die Krankenkassenbeiträge ordentlich angehoben. Außerdem soll es den Hartz IV-Empfängern weiter an den Kragen gehen, weil sie als Prügelknaben für die Kostenexplosion durch ein miserables Gesetz herhalten müssen. Für all diese Maßnahmen, die ja zum Teil die Konjunktur deutlich dämpfen werden, hätte es keine große Koalition gebraucht - sieben Monate nach Amtsantritt gehen Schwarze und Rote mit Rücksicht auf Partikular- und Parteiinteressen die einfachsten der einfachen Wege. Jede andere Konstellation wäre vermutlich mutiger ans Werk gegangen und hätte sich den vorhandenen Reformwillen der Bürger zunutze gemacht. Aber statt der großen Strukturreformen verwaltet die schwarz-rote Koalition ihre eigene Ratlosigkeit; sie neutralisiert sich, stilisiert deshalb den kleinsten Kompromiss zum größten Erfolg. Alles eine Fage der Führung. Kanzlerin Angela Merkel führt aber nicht, sie lässt laufen. Sie moderiert noch nicht einmal; denn das würde ja bedeuten, dass man am Ende mit strategischer und inhaltlicher Überzeugungskraft kluge Ergebnisse herbeiführt. Fehlanzeige. SPD-Chef Kurt Beck führt auch nicht; er ist vielmehr überfordert bei der Zähmung der Widerspenstigen in Partei und Fraktion - ob bei Föderalismus, Gesundheit oder Unternehmenssteuern; also haut der Genosse mal eben auf die diversen Tische und droht wie weiland Gerhard Schröder angeblich damit, die Brocken hinzuschmeißen. Das ist genau das Gegenteil von Stärke, das tut man aus konzeptioneller Hilflosigkeit. Und auch nur dann, wenn gar nichts mehr geht. Vermutlich ist das aber das wahre Problem dieser bei Union und SPD so ungeliebten Koalition: Es geht nichts mehr. Oder es ging nie wirklich etwas. Sich dies einzugestehen, würde von den Koalitionären Mut bedeuten. Aber wie gesagt, den hat das Bündnis weiß Gott nicht. nachrichten.red@volksfreund.de

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